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Gast-KOLUMNE

Die Wahl der großen Unbekannten

Stand: 07.05.2022, 11:25 Uhr

Die Entscheidung am 15. Mai steht unter besonderen Vorzeichen. Zwar ist wenig Glanz in der Hütte, die Lage eher diffus, trotzdem sollten wir alle diese Landtagswahl in NRW ernst nehmen, meint Jochen Trum.

Von Jochen TrumJochen Trum

Von Angela Merkel stammt der Satz: "Sie kennen mich." Drei Wörter, die im Wahlkampf die Arbeit ganzer Heerscharen von PR-Beratern und Spin-Doktoren überflüssig machen können. So etwas funktioniert in der Politik nur, wenn das Gesicht uns so vertraut ist wie das eigene Wohnungsinventar. Deswegen, da bin ich sicher, wird dieser Satz im Landtagswahlkampf auch nicht fallen.

Die Landtagswahl ist eine Wahl der großen Unbekannten. Das unterscheidet sie von früheren Wahlen. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist erst seit einem halben Jahr im Amt und muss sich bereits dem Urteil der Bürgerinnen und Bürger stellen. So wenig Zeit hatte kein Ministerpräsident vor ihm, um sich beim Wahlvolk bekannt und beliebt zu machen. Peer Steinbrück (SPD) hatte als Nachfolger von Wolfgang Clement (SPD) zuletzt immerhin zweieinhalb Jahre - genutzt hat es ihm nichts, er wurde 2005 abgewählt. Wüsts Amtsbonus muss man mit der Lupe suchen, wie weit er ihn am Ende tragen kann, ist schwer zu sagen.

Auch Thomas Kutschaty (SPD) will das Land regieren, mutig spricht die Partei deshalb nicht von einem Wahl-, sondern Regierungsprogramm. Vor einem Jahr hätte ich das noch eine Anmaßung oder auch den Mut der Verzweiflung genannt, doch seit der gewonnenen Bundestagswahl wittert die SPD in Nordrhein-Westfalen Morgenluft. In Umfragen hat sie Boden gut gemacht. Auch Spitzenkandidat Kutschaty, zu Beginn landesweit ziemlich unbekannt, holt auf.

Ob aber aus Berlin für die SPD Rückenwind, ein laues Lüftchen oder gar nichts weht, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Auch der Bundestrend war bei früheren Wahlen eindeutiger - das gilt nicht nur für die SPD.

Wie gesagt, die Landtagswahl ist eine Wahl der großen Unbekannten. Dabei ist die Mehrdeutigkeit des Begriffs beabsichtigt.

"Die Wahl findet zu einer Zeit statt, deren äußere Umstände uns bis vor wenigen Jahren unvorstellbar erschienen. Mit der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, steigenden Preisen und den unmittelbaren Auswirkungen des globalen Klimawandels scheinen wir umgeben von Krisen und Katastrophen. Der Ausnahmezustand ist die neue Normalität." Jochen Trum

Wie sich das auf die Wahl am 15. Mai auswirkt, ist schwer vorherzusagen. Ich beobachte aber, dass es unsere Aufmerksamkeit bindet. Mündige Staatsbürger mögen es sich nicht eingestehen, aber unser Budget an Aufmerksamkeit ist nicht unerschöpflich. Wenn Zeit und Interesse durch weltweite Krisen in Anspruch genommen werden, wie viel Platz bleibt da für die Landtagswahl? Wenn dann selbst die Landespolitik sich öffentlich lieber mit Russland als der Schulpolitik beschäftigt, besteht vielleicht tatsächlich Anlass für Zweifel. Von Nebensächlichkeiten wie "Mallorca-Gate" und "Instagram-Affäre" ganz zu schweigen. Erst in den letzten Tagen ist zu erkennen, dass jetzt kollektiv auf Landtagswahl und Inhalte umgestellt wird. Besser spät als nie.

Wer eine fundierte Wahlentscheidung treffen will, sollte sich mit Personen und Positionen auseinanderzusetzen. Das mag Mühe kosten, die Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland verdient aber Beachtung. Und wer vorher mitdenkt und entscheidet, kann hinterher auch meckern. 

Richtig ist: Keine Partei geht völlig unbelastet in diese Wahl. Die CDU hat noch die Niederlage vom Herbst in den Knochen, wo sie bei der Bundestagswahl auch in NRW schlecht abgeschnitten hat. Der Rücktritt von Umweltministerin Heinen-Esser so kurz vor der Wahl ist ein hausgemachtes Problem, was es aber nicht besser macht. Das Wahlkampfmotto "Machen, worauf es ankommt" strotzt zwar vor Tatkraft, ist auf den zweiten Blick aber lediglich eine politische Selbstverständlichkeit. Man bilde testweise mal die Verneinung.

Die SPD wankt im Bund zwischen staatspolitischer Verantwortung und dem Versuch des Neuanfangs. Irgendwo zwischen "Zeitenwende" und Impfpflicht, zwischen Gasimporten und Waffenlieferungen ist der Geist der Erneuerung auf dem Weg in die Zukunft ins Stocken geraten. Ein richtiges Zugpferd für die Landtagswahl hat sie bisher auch noch nicht gefunden. Und mit ihrem gedrechselten Slogan "Für euch gewinnen wir das Morgen" nimmt sie in Kauf, dass sich Wahlberechtigte fragen, ob die Genossen nicht doch mit der deutschen Grammatik auf Kriegsfuß stehen.

Dr. Joachim Stamp

FDP-Spitzenkandidat Joachim Stamp

Auch die FDP ist von Glanz und Gloria weit entfernt. Ihr trotziges Nein beim Tempolimit wirkt so aus der Zeit gefallen wie die Verwechslung von Freiheit mit Willkür. Damit machten einige Vertreter des politischen Liberalismus in Deutschland in der Pandemie zwar Furore, ihrer Tradition aber wenig Ehre. Die Bilanz der gemeinsamen Regierung mit der CDU mag gut und schön sein, Wählerinnen und Wähler entscheiden aber in der Wahlkabine weniger mit dem Blick in den Rückspiegel.

Die Grünen müssen wie kaum eine andere Partei Kompromisse mit der neuen Wirklichkeit schließen, es ist fast erstaunlich, dass das Martyrium für die Parteiseele nicht öffentlicher zur Schau gestellt wird. Das bundespolitische Spitzenpersonal kann mit Annalena Baerbock und Robert Habeck jenseits der eigenen Klientel überzeugen, dafür ist Spitzenkandidatin Mona Neubaur hierzulande aber eher unbekannt.

Mit "Von hier aus weiter" und "Von hier an Zukunft" wirken die Slogans von FDP und Grünen übrigens derart ähnlich, dass ich mich frage, wer eigentlich bei wem abgeschrieben hat.

AfD-Spitzenkandidat zur Landtagswahl Markus Wagner

AfD-Spitzenkandidat Markus Wagner

Der AfD fehlt ein Mobilisierungsthema, im Westen wachsen die Bäume für sie ohnehin nicht in den Himmel. Ein erneuter Einzug scheint aber sehr wahrscheinlich. Die Linke wirkt dagegen chancenlos, die letzten Wahlergebnisse in NRW geben ihr wenig Anlass zu Optimismus. Und angesichts der Selbstdemontage der Bundespartei dürfte dem notorisch wirren Landesverband nur ein Wunder helfen. Wunderglaube aber zählt nun nicht gerade zu den linken Kernkompetenzen.

Es sind also viele Unbekannte dieses Mal. Nur wenig Glanz scheint in der Hütte. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Klar, grundsätzlich könnte Politik auch hierzulande mutiger, konturierter, heroischer daherkommen, mit mehr Strahlkraft. Vielleicht geben das die Umstände aber gerade einfach nicht her. Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen anderswo ließen sich die Dinge nämlich auch ganz anders betrachten: Wohl dem Wahlvolk, das sich zwischen solchen Alternativen entscheiden kann. Sie mögen unbekannt sein, aber immerhin sind sie nicht unberechenbar.

Wie erleben Sie den Wahlkampf in NRW bisher? Haben Sie auch das Gefühl, dass Ereignisse wie Pandemie, Krieg und Inflation besondere Herausforderungen für die zur Wahl stehenden Spitzenkandidaten darstellen? Welche Partei konnte Sie bisher überzeugen? Lassen Sie uns darüber diskutieren - in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

22 Kommentare

  • 22 Christian 10.05.2022, 11:30 Uhr

    Welche Wahl? Letzte EU-Wahl: Wählerwille ignoriert(VdL); Letzte Bundestagswahl: Wählerwille ignoriert (180°-Wende aller Parteien) Was soll das Ganze also? Am Ende bestimmen sowieso die Neoliberalen.

  • 21 Jörg 09.05.2022, 23:25 Uhr

    Ich hoffe sehr, dass die Rentner und Rentnerinnen, die bei der Energiepreispauschale leer ausgehen, sich bei den Ampelparteien gebührend bedanken und ihr Kreuz bei der Landtagswahl in NRW eben nicht bei den beteiligten Parteien machen.

  • 20 Brüning 09.05.2022, 16:22 Uhr

    Ich finde es leider bezeichnend in der kurzweiligen Welt, das viele Wähler unter einer Art Amnesie leiden und wieder auf Rot-Grün schwenken bzw. favorisieren. Themen wie Energiewende, Infrastruktur sowie vor allen Dingen Bildung wurden über Jahre vielleicht auch Jahrzehnte von der damaligen SPD Regierung sowie in der letzten Koalition mit den Grünen nicht oder falsch angegangen. Man nehme bei der SPD das lange Festhalten an Braun und Steinkohle, die fehlende Strukturreform im Ruhrgebiet, fehlende Maßnahmen bei der inneren Sicherheit. Die Grünen haben ein Abitur nach 12 Jahren vorangetrieben, deren Auswirkung für die Schüler in der 10 immer noch sichtbar sind. ich hoffe die Wähler hinterfragen ihre Wahl

  • 19 Wüstensand 09.05.2022, 14:12 Uhr

    Ich sehe für Wüst keine Oase ohne Grüne, von denen er sich allerdings nicht unterscheidet. Das erhöht natürlich die Prozentzahl des Originals, also der Grünen. Kutschaty ist nie und nimmer Schwiegermutters Lieblingstyp, kann bei Männern nicht überzeugen und hilft Schwarz-Grün in den Sattel. Er wird einen Posten in Berlin nach der Wahl finden? Für NRW sieht's nicht gut aus, da diese Politik nicht überzeugt? Die massiven Probleme NRWs kannte und kennt man nicht in Schleswig-Holstein oder Grünen Traumland.

  • 18 Timon 09.05.2022, 09:54 Uhr

    Thomas Kutschaty strahlt nichts staatsmännisches aus. Er ist mehr ein Kumpeltyp, aber kein Landesvater. Da kommt Wüst m. E. besser rüber, auch wenn er nicht die Strahlkraft eines Johannes Rau hat. Weiterhin haben wir mit Herbert Reul einen guten Innenminister, der seinen Vorgänger Ralf Jäger in den Schatten stellt. Ich denke, man darf die Landespolitik nicht nur auf die Schulpolitik reduzieren. Es gibt noch andere wichtige Entscheidungsfelder, wie Innere Sicherheit und Klimaschutz in Verbindung mit der Vereinbarkeit von Arbeitsplätzen.

  • 17 Jupp 09.05.2022, 08:05 Uhr

    Da niemand einen Amtsbonus hat wie in SH der Herr Günther, ist die Wahl ziemlich offen. Die jetzige Regierung hat sich in den 5 Jahren unter Laschet, Wüst, Reul, Stamp und Gebauer nicht mit Ruhm beckleckert. Deshalb werden viele die Bundespolitik als Maßstab nehmen und hier kann man z.Z. nur mit den Grünen Politikern Habeck und Baerbaum zufrieden sein! Deshalb könnte es auf eine ähnliche Konstellation wie bei den Bundetagswahlen hinauslaufen...

  • 16 Ann So 09.05.2022, 00:14 Uhr

    Meine Wahlentscheidung habe ich letzten Samstag am Wahlstand in Düsseldorf Rath getroffen. Im Gespräch mit der CDU Frau Sylvia Pantel. Konkrete Antworten zu konkreten Anliegen konnte Sie kaum geben. Meinen Vorschlag, Programme zur Prävention sexuellen Missbrauchs an allen Schulen verpflichtend durchführen zu lassen und die Finanzierung durch das Land NRW sicherzustellen, fand sie naiv. Es werde schon viel getan, z.B. dürften Lehrer*innen sich, mittlerweile datenschutzkonform, Bilder der Opfer ansehen. Ich konnte kaum glauben, dass sie das ernst meinte. Statistisch gesehen sitzt in jeder Schulklasse mindestens ein Kind, dass Opfer sexualisierten Gewalt geworden ist. Wenn der Schaden angerichtet ist, kümmert die CDU sich drum. Mit mehr Polizei und Staatsgewalt. Programme zur Stärkung von Kindern werden in NRW schon lange durchgeführt. Allerdings ist die Finanzierung dergleichen immer schwierig. Mein Kreuz setze ich bei der Wahl dort, wo Kinder ernst genommen werden.

  • 15 Bernd 08.05.2022, 10:10 Uhr

    Habe mein Danke schön an die großen 4 Parteien schon abgegeben. Stichwort keine Energiepauschale für Rentner. Auch nicht für die welche Steuern zahlen. Für mich ist es eine Art Wertschätzung für Bürger die 45 Jahre oder mehr gearbeitet haben.

    Antworten (2)
    • K. Keller 08.05.2022, 11:31 Uhr

      Dafür drohen mindestens 3 der 4 "großen" Parteien mit mehreren Tausend Euro Bußgeld speziell für ü60 im Rahmen einer Impfpflicht. Auch ich bin über 60 und damit natürlich entsprechend geladen über diesen "Kompromiss".

    • Kritischer Autor 08.05.2022, 12:22 Uhr

      Genau das meine ich: Der Allgemeinbürger ist nicht ganzheitlich orientiert, ist nur mit sich selbst beschäftigt. So wird das nichts. Die Energiepauschale ist natürlich der völlig falsche Ansatz und löst die Probleme nicht, die uns Frau Merkel hinterlassen hat. Auch dass nun hundertausende ukrainische Staatsbürger in unser Land gelassen werden, ist in mehrfacher Hinsicht ein verheerendes Signal. Und statt den moralischen Imperativ gegen Putin zu erheben, wäre angesagt, die Beziehungen zu ihm zu verbessern. Auch hier hat uns Merkel ein ganz schweres Erbe hinterlassen. Eine Frau Baerbock als Außenministerin, die auf mich wirkt wie eine Schülerin der gymnasialen Oberstufe, passt da sicherlich wie die Faust aufs Auge.

  • 14 Fragezeichen 07.05.2022, 19:21 Uhr

    Lieber Herr Trum, was möchten Sie uns mit ihren buchstabenreichen Einlassungen mitteilen? Ich bin baß erstaunt, mit welcher Nonchalance sie über Seiten nichts sagen können. Überlassen sie das bitte denen die dafür bezahlt werden. Sie sind kein Marketingfuzzi. Sie werden dafür bezahlt, Themen zu orten und Informationen zu bündeln. Falls Sie wissen möchten wie das geht, schauen Sie doch bitte mal bei jung und naiv oder beim alias podcast rein. Es versendet sich eben nicht. Schmerzliche Grüße Ein Leser

  • 13 Wir wählen jeden Tag... 07.05.2022, 19:11 Uhr

    ...und unsere Wahlentscheidungen haben mehr Wirkung - auch die NRW-Wahl - als die der meisten anderen Menschen auf der Welt. Unsere Wahlen - vor allem unser Konsum - gestaltet die Welt. Die Frage ist, wer sich wie danach verhält. Wähle, Mensch. Übernimm Verantwortung. Gestalte die Erde so, wie du sie deinen Kindern und allen Kindern wünschst.

    Antworten (2)
    • Froschkönigin 08.05.2022, 20:06 Uhr

      Ich gebe ihnen so was von recht . Wird aber in diesem Forum nicht verstanden .

    • Karl, der Käfer 08.05.2022, 21:05 Uhr

      "Gestalte die Erde so, wie du sie deinen Kindern und allen Kindern wünschst.". Jau, deshalb unbedingt schwere, und noch schwerere, Waffen in die Ukraine liefern, wie es die meisten etablierten Parteien aus Bundestag bzw. mit Landtagschance aktuell fordern. Ganz sicher unabdingbar für den Weltfrieden und für das Wohl unserer Kinder. Wenn diese originär friedenschaffenden, schweren Waffen auch noch klimaneutral betrieben werden könnten, dann wäre alles supi und unser aller Zukunft gesichert, gell!?. [Satire off]

  • 12 Froschkönlgin 07.05.2022, 17:39 Uhr

    Wenn ich die Kommentare hier lese wird mir übel . Von ungültig , nicht wählen , Protest wählen . Auch geht es nicht um eine Bundeswahl sondern um nrw . Mir passen viele Sachen auch nicht , und die grinse Plakate mit dummen Sprüchen können sich auch alle sparen , aber ich käme niemals auf die Idee , nicht , ungültig oder blau zu wählen .

    Antworten (1)
    • Friedensfreundin 07.05.2022, 18:31 Uhr

      Das ist ja auch Ihr gutes Recht. Zur gelebten Demokratie gehört aber auch, dass jede/r mit ihrer/seiner Stimme machen kann, was sie/er für richtig hält. Somit auch "nicht, ungültig oder blau" oder was/wie auch immer. Mir würde es schon genügen, wenn die Grünen, wie kürzlich im Saarland, nicht mehr in den Landtag einziehen würden.