Welche Folgen hat der Gefangenenaustausch mit Russland? | WDR Aktuell

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Welche Folgen hat der Gefangenenaustausch mit Russland?

Stand: 02.08.2024, 17:13 Uhr

Es war der wohl größte Gefangenenaustausch seit dem Kalten Krieg. Was bedeutet der Austausch für den Westen?

Von Catharina Coblenz

Freigelassene fallen unter Jubel ihren Angehörigen in die Arme und herzen sie - an den Flughäfen in Köln/Bonn, Washington und Moskau spielten sich die nahezu gleichen Szenen ab. Unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT waren zuletzt insgesamt 26 Gefangene zwischen Russland, Belarus und dem Westen ausgetauscht worden. 13 Personen kamen in Deutschland an, drei in den USA und zehn in Russland.

Unter den Freigelassenen, die in Deutschland landeten, befanden sich neben Menschen mit norwegischer und polnischer Staatsangehörigkeit auch ein deutscher Staatsbürger - der 30-jährige Rico Krieger, der ursprünglich in Belarus zum Tode verurteilt und kurz danach begnadigt worden war. Empfangen wurden sie auch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). "Das war sehr bewegend", sagte Scholz. "Viele haben nicht damit gerechnet, dass das jetzt passiert."

US-Präsident Joe Biden und seine Stellvertreterin Kamala Harris begrüßten in der Nacht zum Freitag in den USA unter anderem den Journalisten Evan Gershkovich und den ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan.

Die richtige Entscheidung

Ob es gut war, dem Austausch mit Russland zuzustimmen, darüber sind die Meinungen geteilt. Scholz verteidigte die Entscheidung. Er betonte, es sei wichtig, dass diejenigen mit Schutz rechnen können, "die um ihr Leben fürchten müssen, weil sie sich für Demokratie und Freiheit eingesetzt haben". Er sagte: "Das gehört zu unserem Selbstbildnis als demokratische humanistische Gesellschaft dazu".

Gleichzeitig hat gerade die Freilassung von Vadim Krasikow., dem "Tiergarten-Mörder" zu Kritik an der Entscheidung geführt. Er hatte 2019 im Berliner Tiergarten einen politischen Mord begangen und war Ende 2021 in Berlin zu lebenslanger Haft in Deutschland verurteilt worden. Dass dieser nun nach nicht einmal fünf Jahren in Haft nach Russland abgeschoben wurde, verbittert vor allem die Angehörigen des Opfers.

Ist der Westen jetzt erpressbar?

Der republikanische Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul, und auch deutsche Oppositionspolitiker befürchten, dass sich die USA und Deutschland durch den Austausch erpressbar gemacht haben.

Der Politikwissenschaftler Prof. Thomas Jäger ist indes der Meinung, dass Deutschland durch den Austausch nicht erpressbarer sei als vorher. Als Rechtsstaat mit demokratisch humanistischer Einstellung sei Deutschland jedoch schon immer erpressbar gewesen. Und auch die Deutschen, die jetzt noch in Russland sind, sind laut der Einschätzung von Jäger nicht gefährdeter als vorher - sie waren auch vorher schon gefährdet. Wie andere Experten auch, ist Jäger der Meinung, dass Putin seinen Gefolgsleuten mit diesem Austausch signalisiert, sie nicht im Stich zu lassen.

Ähnlich sieht es der Geheimdienstexperte Christopher Nehring. Dem WDR sagte er, die Gefahr, dass Deutsche in Russland wahllos verhaftet werden und gegen Agenten, Mörder und andere ausgetauscht werden, bestehe seit Jahrzehnten.

Russland als Geiselnehmer

Der Friedens- und Konfliktforscher Prof. Fabian Klose von der Universität zu Köln findet selbst den Begriff des Gefangenenaustauschs problematisch. Er assoziiere mit dem Begriff "regulierte Abläufe", wie es sie bei dem Austausch von Kriegsgefangenen gibt. Bei diesem Austausch handele es sich dagegen um eine "Geiselnahme" durch Russland, "um einen rechtsstaatlich verurteilten Mörder frei zu erpressen".

Auch Jäger sieht Russland in der Rolle eines Geiselnehmers. Er sagt: "Ein Geiselnehmer nimmt sich die Geiseln, wie er sie braucht." Der einzige gravierende Unterschied wäre hier, dass ein Staat der Geiselnehmer ist und ihm somit auch stattliche Mittel zur Verfügung stehen.

Jäger verweist auf die deutlichen Parallelen zu Agentenaustauschen während des Kalten Krieges. Aus diesem Grund würde er sich nicht wundern, wenn demnächst auch Gefangene "freigekauft" würden - denn auch das wurde im Kalten Krieg praktiziert.

Quellen:

  • Prof. Dr. Thomas Jäger, Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik an der Uni Köln im Gespräch mit dem WDR
  • Prof. Dr. Fabian Klose, Lehrstuhl für Internationale Geschichte und historische Friedens- und Konfliktforschung an der Uni Köln im Gespräch mit dem WDR
  • Geheimdienstexperte Christopher Nehring gegenüber dem WDR
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Nachrichtenagentur AFP

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