Wärmeräume, Moratorium: Neue Vorschläge für "Albtraum-Szenario" beim Gaspreis

Stand: 10.07.2022, 18:39 Uhr

Die Warnungen vor düsteren Zeiten wegen der Gas-Versorgung nehmen zu. Verbraucherschutzministerin Lemke denkt über ein Gaspreis-Moratorium nach, andere fordern Wärmeräume für Einkommensschwache.

Die jüngsten Äußerungen aus Politik und Wissenschaft zur Gas-Versorgung im Winter lassen Schlimmes erahnen. Von einem "Albtraum-Szenario" ist die Rede, von einer sechsfach höheren Gas-Rechnung für Familien und einer unsicheren Energieversorgung über "Jahre". Was tun, falls im Winter das Gas knapp wird? Ein neuer Vorschlag: Wärmeräume, damit alte und andere einkommensschwache Menschen daheim nicht frieren müssen.

Gas-Versorgung: Warnungen nehmen zu

Stimmt die Politik die Bevölkerung nun zunehmend auf düstere Zeiten ein? Dieser Verdacht drängt sich auf angesichts von Worten wie "Albtraum-Szenario". Davon sprach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Sonntag im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Genau das wäre der Fall, wenn die Gas-Unterversorgung Realität werden würde, so Habeck. Der Gesellschaft drohe dann eine "Zerreißprobe". "Das wird die gesellschaftliche Solidarität bis an die Grenze und wahrscheinlich darüber hinaus strapazieren."

Am Sonntag machte sich zumindest ein bisschen Hoffnung breit: Kanada will eine Turbine, die dringend für die Gaspipeline Nord Stream 1 benötigt wird, nun doch liefern. Wegen der Sanktionen gegen Russland soll sie aber nach Deutschland geliefert werden. Am Montag beginnen an der wichtigen Pipeline Wartungsarbeiten. Ob sie am 22. Juli planmäßig wieder in Betrieb gehen wird, ist unklar.

Söder erwartet im Notfall eine "Art Gas-Triage"

Sollte die dritte Stufe von Habecks Gas-Notfall-Plan eintreten, die sogenannte Notfallstufe, müsste die Bundesnetzagentur bestimmen, wer in Deutschland wie viel Gas nutzen darf. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach bereits von einer "Art Gas-Triage, die dann kommen wird". Allerdings haben private Haushalte als sogenannte geschützte Kunden dann Vorrang.

"Jede noch so kleine Maßnahme zählt", um der Gas-Knappheit entgegenzuwirken, sagte Netzagentur-Chef Klaus Müller dem "Focus".

"Ich verstehe, dass da manche jetzt drüber lachen. Wenn sie die nächste Gasrechnung bekommen, wird ihnen das Lachen aber vergehen", so Müller. Das könne für eine Familie "schnell eine Mehrbelastung von 2.000 bis 3.000 Euro im Jahr bedeuten".

Mit einer noch höheren Mehrbelastung rechnet Jens Südekum, Ökonom an der Uni Düsseldorf. Die Gas-Preise für Endkunden könnten sich gegenüber dem Vorjahr sogar versechsfachen, sagte er am Samstag dem WDR. Bei einer Familie mit zwei Kindern in einer 80 bis 90 Quadratmeter großen Wohnung mit einer monatlichen Gasrechnung von vielleicht 80 Euro drohe im schlimmsten Fall eine monatliche Gasrechnung von 400 Euro und mehr, so Südekum. Mehr dazu unter diesen Links:

Kanzler Scholz: Energie-Problem werde anhalten

Hinzu kommt eine Warnung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Ein Ende der Probleme ist offenbar nicht in Sicht. Die Sicherheit der Energieversorgung werde uns noch "noch die nächsten Wochen, Monate und auch Jahre" beschäftigen, sagte er am Samstag in seinem Video-Blog "Kanzler kompakt".

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Suche nach Lösungen: Wärmeräume für alte Menschen

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds

Gerd Landsberg, Städte- und Gemeindebund

Angesichts drohender Gasknappheit und hoher Energiepreise brachte der Städte- und Gemeindebund nun die Einrichtung von Wärmeräumen ins Spiel. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte der "Bild am Sonntag":

"Da niemand genau sagen kann, wie dramatisch die Entwicklung sein wird, sollte auch überlegt werden, Wärmeinseln oder Wärmeräume vorzusehen, wo sich insbesondere ältere Menschen auch bei einem sehr kalten Winter aufhalten können."

Überlegungen und Planungen zu solchen Wärmeräumen gibt es zum Beispiel schon in Heidelberg, Landau und Ludwigshafen. In Ludwigshafen werde im Notfall eine große Mehrzweckhalle als "sogenannte Wärmeinsel für Bedürftige" umfunktioniert, teilte die Stadt mit.

Ministerin Steffi Lemke fordert Moratorium für Gaskunden

Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) forderte, dass Privathaushalten garantiert nicht das Gas abgestellt werden darf. Auch dann nicht, wenn sie mit Rechnungen im Verzug sind. Dafür schwebt Lemke ein Moratorium für Gas- und Stromsperren vor. Auch über ein zweites Hilfspaket müsse gegebenenfalls entschieden werden, sagte sie dem WDR: "Das werden wir dann, zum gegebenen Zeitpunkt, auch tun müssen".

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Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, forderte zur Lösung des Problems höhere Löhne und eine dauerhafte Anhebung der Sozialleistungen. Man solle die Menschen nicht mit Einmalzahlungen "ruhigstellen", sagte er am Samstag dem "Handelsblatt".

Linke-Parteichef Martin Schirdewan sprach sich am Samstag im Gespräch mit der Funke Mediengruppe für eine Deckelung der Energiepreise aus, damit Menschen in einkommensschwachen Hauhalten "im nächsten Winter noch heizen und Fernsehen gucken können". Finanziert werden solle dies durch eine Übergewinnsteuer.

Schirdewan: Nicht auf "Verzichtspropaganda hereinfallen"

Appellen zum Energiesparen erteilte Schirdewan eine Absage. "Ich rate den Leuten, nicht auf die Verzichtspropaganda hereinzufallen", sagte er. "Es kann nicht darum gehen, weniger zu heizen oder kälter zu duschen."

In den vergangenen Tagen wurden weitere Vorschläge zur Entlastung der Menschen angesichts der hohen Gaspreise diskutiert. Mehr dazu unter diesem Link:

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