Explodierende Gaspreise: Das sind die Lösungsvorschläge

Stand: 03.07.2022, 18:48 Uhr

Bundeswirtschaftsminister Habeck warnt vor einem Lieferstopp von russischem Gas - bereits im Juli. Wie könnte die Politik gegensteuern, um eine Explosion der Gaspreise wenigstens abzuschwächen?

Eigentlich ist es nur Routine: Am 11. Juli beginnt die jährliche Wartung der Pipeline Nord Stream 1 - mindestens für zehn Tage wird die wichtigste Versorgungsleitung für russische Gaslieferungen nach Deutschland außer Betrieb sein. In den vergangenen Jahren wurde der Gashahn danach wieder aufgedreht.

In diesem Jahr könnte es anders laufen. Am Samstag erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), er könne nicht garantieren, dass nach der Wartung die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 wieder aufgenommen werden. Die Folgen eines russischen Lieferstopps wären gravierend: für Industrie, für Stadtwerke und letztlich auch für private Gaskunden.

Welche Szenarien gibt es? Und wie könnte die Politik gegensteuern? Fragen und Antworten.

Was wären die direkten Auswirkungen eines Lieferstopps?

Die Gaspreise würden voraussichtlich noch einmal deutlich zulegen - möglicherweise um das Dreifache, warnt die Bundesnetzagentur. Weil immer noch ein hoher Anteil der Stromversorgung von Gaskraftwerken abhängt, würden zusätzlich auch die Strompreise anziehen.

Zuallererst würde das die Energiewirtschaft in Bedrängnis bringen, zum Beispiel den in Düsseldorf ansässigen größten deutschen Gasimporteur Uniper. Das Unternehmen müsste trotz Lieferstopp weiterhin seine langfristigen Verträge erfüllen und zum Beispiel Stadtwerke mit Gas zum alten Preis beliefern. Gleichzeitig müsste Uniper allerdings teures Gas auf dem Weltmarkt einkaufen. Das würde das Unternehmen auf lange Sicht wirtschaftlich nicht überleben.

Wie ließe sich ein Kollaps der Energiewirtschaft verhindern?

Laut Habeck gibt es für die Bundesregierung nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Staat unterstützt Unternehmen wie Uniper massiv mit Steuergeld. "Oder man erlaubt den Unternehmen, die Preise weiterzugeben." Eine gesetzliche Grundlage für einen solchen Schritt gibt es schon: das Energiesicherungsgesetz, das vor dem Hintergrund der Ölkrise in den 1970er-Jahren eingeführt wurde.

Das Gesetz ermöglicht unter bestimmten Umständen, dass Unternehmen im Fall einer Energiekrise ihre Preise der Marktsituation anpassen können - auch wenn in den laufenden Verträgen niedrigere Preise vereinbart wurden. Bisher habe man den Paragraphen nicht aktiviert, erklärte Habeck. Denn dies sei ein "sehr, sehr scharfes Schwert".

Was wären die Folgen für Stadtwerke und private Gaskunden?

Eine noch nie dagewesene Preisexplosion: Die Stadtwerke wären nach dem Energiesicherungsgesetz berechtigt, die gestiegenen Kosten an die Verbraucher weiterzugeben. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, warnte in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe: "Viele Verbraucher werden schockiert sein, wenn sie Post von ihrem Energieversorger bekommen." Die Gasrechnung könnte sich verdreifachen, sagte Müller.

In einem solchen Szenario wären voraussichtlich viele Haushalte mit den Kosten überfordert, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy. Gäben die Stadtwerke die gestiegenen Kosten hingegen nicht an die Kunden weiter, dann könnten viele kommunalen Versorger in die Insolvenz rutschen. "Die Versorgung vieler Haushalte wäre nicht mehr sicher."

Welche Auswege gibt es aus dem Dilemma?

Eine einfache Lösung gibt es nicht. Der Staat könnte vielleicht für einen begrenzten Zeitraum die Gaspreise mit Steuergeldern künstlich niedrig halten. Weil Deutschland aber wohl viele Jahre lang mit hohen Energiepreisen rechnen muss, würde das auf lange Sicht den Staatshaushalt überfordern. Habeck deutete am Samstag an, dass es stattdessen Pläne gebe, die Mehrkosten auf alle Kunden gleichmäßig zu verteilen.

Hintergrund: Für einen Teil der Gaskunden würden sich im Fall eines russischen Lieferstopps die Preise stark erhöhen, für andere nur leicht oder gar nicht. Das hängt davon ab, woher die Energieversorger ihr Gas beziehen. Einige kaufen bereits einen größeren Teil ihres Gases in Norwegen, den Niederlanden oder in Algerien ein - diese müssten die Preise für ihre Kunden nicht so stark anheben. Andere Versorger sind noch stark von den russischen Lieferungen abhängig, dort könnten die Preise extrem steigen.

Ein neues Gesetz, das Bundestag und Bundesrat schon nächste Woche beschließen sollen, könnte für einen gewissen Ausgleich sorgen: Es sieht vor, die Mehrkosten sämtlicher Gas-Importeure grundsätzlich auf alle Kunden gleichmäßig zu verteilen.

Gibt es noch andere Vorschläge?

Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, warb in der "Bild am Sonntag" für eine Deckelung der Energiepreise: "Für jeden Erwachsenen und jedes Kind wird ein Grundbedarf für Strom und Gas festgelegt. Für diese Menge an Kilowattstunden gibt es eine Preisgarantie." Mehr verbrauchte Energie müsse dann zu höheren Preisen bezahlt werden.

"Das wäre nicht nur ein wirklich wirksamer Anreiz zum Energiesparen, sondern auch eine deutliche Entlastung vor allem für Haushalte mit kleinem Einkommen", erklärte Fahimi.

Die Grünen im Bundestag werben derweil für direkte Energiehilfen für Bedürftige. "Entlastung muss sich auf die konzentrieren, die es am nötigsten brauchen", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch. Zum Beispiel müssten die Regelsätze in der Grundsicherung dringend steigen. Um das zu finanzieren, müssten die "Reichsten" in der Gesellschaft einen größeren Beitrag leisten.

Mal abgesehen von den Preisen: Droht ein echter Gasmangel?

Nach neusten Berechnungen: vorläufig nicht. Das ist zumindest die Einschätzung mehrerer Wirtschaftsforschungsinstitute. Das Forschungsprojekt "Gemeinschaftsdiagnose" erklärte am Dienstag, die Wahrscheinlichkeit einer Versorgungslücke mit Erdgas im Fall eines russischen Lieferstopps sei gegenüber April deutlich gesunken.

Bis Ende 2023 sei den Berechnungen zufolge eine Rationierung der Gasversorgung weder in der Industrie, noch in Privathaushalten notwendig. Allerdings plädieren die Wissenschaftler gleichzeitig für erhöhte Gaspreise für Privatkunden, um diese wirksam zum Energiesparen zu motivieren.

Wie sollten Verbraucher jetzt reagieren?

Die Verbraucherzentralen raten Mietern, sich jetzt schon auf höhere Nebenkosten einzustellen. Denn die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2022 müssen die Vermieter erst Ende 2023 machen. Dann drohen hohe Nachzahlungen, die viele Mieter finanziell überfordern könnten. Zur Vorbereitung kann man sich jetzt schon mit dem Vermieter auf eine höhere monatliche Zahlung einigen. Oder man kann alternativ privat Rücklagen bilden - zum Beispiel auf einem Sparkonto.

Außerdem sollte man natürlich alle Möglichkeiten zum Energiesparen nutzen, die ohne großen Aufwand sofort umgesetzt werden können.

Weitere Themen