Extremes Niedrigwasser - ist unsere Versorgung sicher?

Stand: 16.08.2022, 15:11 Uhr

Die Flusspegel sind historisch niedrig, viel Regen ist nicht in Sicht. Was droht uns, wenn die Pegel noch weiter fallen? Es geht um viel, nämlich den Warentransport, die Energieversorgung und fragile Ökosysteme.

Von Oliver Scheel

Die Trockenheit in diesem Sommer ist extrem. So extrem, dass unsere Flüsse historische Tiefstände aufweisen. So fiel der Pegel bei Emmerich am Niederrhein tatsächlich auf 0. Die Pegelstände sind nicht zu verwechseln mit dem tiefsten Punkt im Fluss, daher ist mancherorts selbst bei einem negativen Pegel noch Schifffahrt möglich, doch wir stehen vor großen Problemen - und zwar aus vielerlei Gründen.

Der Zeitpunkt - es ist sehr früh für Niedrigwasser

Der Grund im fast ausgetrockneten Scheuermühlenteich in Köln Wahn ist aufgebrochen.

Viele Rekordpegel datieren aus dem Jahr 2018. Damals erlebten wir einen Rekordsommer mit großer Hitze und wenig Niederschlag. Aber die Tiefstände am Rhein wurden 2018 wesentlich später erreicht als in diesem Jahr. Der Tiefstand am Pegel Emmerich, der nun unterboten wurde, datierte vom 30. Oktober. Nicht umsonst beginnt das hydrologische Jahr am 1. November. Erst ab dann ist mit wirklicher Entspannung zu rechnen. Erleben wir einen trockenen Herbst, kann die Schifffahrt tatsächlich komplett zum Erliegen kommen.

Unsere Versorgung mit Gütern und Waren steht auf dem Spiel

Die Flüsse sind Lebensadern, als Wasserstraßen dienen sie unserer Versorgung, vor allem mit Heizöl und Diesel, aber auch mit Kohle. Im Oktober 2018 kam es zu Engpässen an Tankstellen. Außerdem stiegen wegen des knappen Angebots die Preise an den Zapfsäulen. Am Rhein liegen wichtige Raffinerien, von denen die Produkte zu den Tanklagern gebracht werden.

Je tiefer die Pegel fallen, umso weniger Tiefgang dürfen die Schiffe haben. Das heißt, sie fahren mit wesentlich weniger Ladung. Irgendwann wird die Fahrt dann schlichtweg unrentabel. Das bedeutet, Binnenschiffer könnten auf eine Fahrt verzichten, obwohl sie theoretisch möglich wäre.

Kraftwerke brauchen Kühlwasser

Ein Schubverband passiert die Zollburg Pfalzgrafenstein am Mittelrhein bei Kaub

Der Flaschenhals bei Kaub

"Extremes Niedrigwasser hat Auswirkungen auf die prozesswasserabhängige Industrie und bewirkt dort einen Produktionsrückgang oder gar -stopp", sagte Prof. Boris Lehmann von der Technischen Universität Darmstadt. Außerdem könne Niedrigwasser ebenso eine Leistungsdrosselung oder gar Abschaltung von kühlwasserabhängigen Kraftwerken zur Folge haben.

Wenn Kraftwerke ihre Leistung drosseln müssen, weil nicht genügend Kühlwasser zur Verfügung steht, bekommen wir zur Gaskrise noch eine Stromkrise. Die Diskussion über Laufzeitverlängerungen bei Atomkraftwerken könnte dann schnell abgewürgt werden. In Frankreich musste bereits ein Atomkraftwerk an der Rhone gedrosselt werden. Es sei daher "ein Irrglaube, dass uns konventionelle Kraftwerke in der Energie- und Klimakrise retten könnten", so Leif Miller vom Naturschutzbund (Nabu).

Die Tourismusbranche leidet

In den vergangenen Jahren hat sich die Flussschifffahrt in vielen Städten und Regionen zu einer beliebten Touristenattraktion gemausert. "Mittlerweile verkehren auf deutschen Gewässern rund 1.000 Fahrgastschiffe, die jährlich ungefähr zehn Millionen Fahrgäste befördern", analysierte Prof. Lehmann. Die Fahrgastschifffahrt ist also ein Wirtschaftsfaktor.

Auch Autofähren wie die Fähren in Zons, in Köln-Langel/Hitdorf und in Rees am Niederrhein mussten ihren Betrieb schon einstellen. Für die Nutzer bedeutet dies oft lange Umwege.

Lieferketten: Unternehmen sind auf Wasserstraßen angewiesen

Viele Großunternehmen wie Thyssen und BASF liegen nicht umsonst am Rhein - sie sind auf die Wasserstraße angewiesen, um mit Brennstoffen und Rohmaterialien versorgt zu werden. Und natürlich, um ihre Endprodukte zu verschiffen. Diese Versorgung gerät nun in Gefahr.

Die Bahn kann die Binnenschifffahrt nicht komplett ersetzen. "Dafür ist die Logistik nicht ausgelegt. Dafür haben wir den Rhein", sagte Jürgen Ziegner, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Tankstellengewerbes.

Verschmutzung und Artensterben

Je weniger Wasser in den Flüssen ist, umso höher wird der Verschmutzungsgrad. Denn unsere Flüsse transportieren gereinigtes Abwasser Richtung Meer. "Dieses Abwasser hat im Vergleich zum natürlichen Flusswasser immer noch um den Faktor 10 bis 100 erhöhte Gehalte an Stickstoff, Phosphor und organischen Substanzen", erläuterte Karsten Rinke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg. In zu warmem Wasser könne es schnell zu Fischsterben kommen. "Wenn Fische sterben, sterben natürlich auch andere Organismen wie Muscheln und Insektenlarven", weiß Rinke.

Unternehmen und Kraftwerke leiten das Kühlwasser stark erwärmt in die Flüsse zurück. Dies gefährdet das Überleben der Arten, die auf kühles Wasser angewiesen sind und es erhöht die Massenentwicklung von Cyanobakterien, also Blaualgen.

Was müssen wir tun?

In Zeiten des Klimawandels müssen wir nach einhelliger Expertenmeinung häufiger mit trockenen, heißen Sommern rechnen. Jonathan Köhler vom Fraunhofer-Institut System- und Innovationsforschung Karlsruhe, glaubt nicht, dass es etwas nutzt, die Flüsse tiefer auszubaggern: "Das wird wahrscheinlich nicht passieren, weil es schlecht für Tiere, Pflanzen und den Wasserhaushalt ist und weil der Aufwand, mehrere Strecken dauernd auszubaggern nicht praktikabel ist."

Man könnte, so Köhler, kleinere Schiffe mit weniger Tiefgang bauen. Diese könnten aber nicht so viel Fracht laden wie die großen. "Da die Kapazitäten der Bahn in Deutschland auf vielen Strecken, gerade am Rhein, knapp sind, kann es passieren, dass der Verkehr auf die Straße verlagert wird. Das wäre nicht sinnvoll und nicht im Sinne der EU- und der deutschen Klimapolitik.“

Experten wie Lehmann erwarten, dass mit einem zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien der Bedarf an Kühlwasser für Kraftwerke sinkt. Somit sind auch beim Thema Niedrigwasser die Erneuerbaren Energien Teil der Lösung.