Fischsterben in der Oder: Wie gefährlich sind die Goldalgen?

Stand: 22.08.2022, 13:40 Uhr

Das massenhafte Fischsterben in der Oder ist noch immer nicht ganz aufgeklärt. Inzwischen verdichten sich aber die Hinweise, dass eine Alge eine zentrale Rolle spielt.

Es ist eine Umweltkatastrophe, die bei vielen Menschen für Entsetzen sorgt: Mehr als 190 Tonnen tote Fische wurden in Deutschland und Polen schon aus der Oder geholt.

Eine abschließende Erklärung gibt es noch nicht, das Umweltministerium in Brandenburg geht davon aus, dass es mehrere Ursachen gibt. Aber Forschende sind sich mittlerweile ziemlich sicher, dass eine giftige Algenart ein Hauptgrund für das Fischsterben ist.

Massenhafte Entwicklung von Goldalgen in der Oder

Neueste Untersuchungen des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenschifferei in Berlin (IGB) erhärten den Verdacht, dass die massenhafte Entwicklung einer giftigen Alge in der Oder eine entscheidende Rolle gespielt hat. Und diese Algenart kommt auf den betroffenen Oder-Abschnitten unter normalen Bedingungen nicht in Massen vor.

Nur wenige Tausendstel Millimeter groß: die Goldalge (Prymnesium parvum)

Nur wenige Tausendstel Millimeter groß: die Goldalge (Prymnesium parvum)

Goldalgen produzieren diverse Giftstoffe

Es geht um die Goldalge, Fachbezeichnung: "Prymnesium parvum". Sie sind nur acht Tausendstel Millimeter groß, erklärt IGB-Forscher Jan Köhler im WDR - aber sie produzieren Giftstoffe, die Fische, Muscheln oder Schnecken schädigen können.

"Die Algen gibt's eigentlich immer, überall", sagt Jan Köhler. Sie werden durch Wind oder Wasservögel verteilt. Die Frage sei aber, warum sie sich in der Oder in solchen Massen entwickelt haben - das sei noch nicht ganz klar.

Hohe Salzkonzentration nötig

Bekannt ist, dass für die Vermehrung der Alge eine hohe Salzkonzentration im Wasser nötig ist. Die kann nur entstehen, wenn zum Beispiel ein Industriebetrieb entsprechendes Abwasser in den Fluss abgibt. In den vergangenen Wochen sei offensichtlich in Polen massenhaft Salz in die Oder eingeleitet worden, sagt IGB-Forscher Köhler.

Außerdem brauche die Alge auch viel Licht, das sie jetzt durch den niedrigen Wasserstand bekommen habe. Auch die langsame Fließgeschwindigkeit der Oder begünstige eine Vermehrung. Der Klimawandel werde das Algenwachstum weiter fördern, betont der Forscher. Denn das größte Wachstum gebe es bei 25 bis 30 Grad Wassertemperatur.

Massenhaftes Fischsterben auch in NRW möglich?

In der Oder war nach jetzigem Wissensstand die Einleitung von Salz der Hauptauslöser für das Algenwachstum. Das ist bisher in dieser Form in NRW nicht vorgekommen.

Bei Niedrigwasser steigt aber die Konzentration an Phosphaten und Stickstoffen, auch sie fördern Algenwachstum. So führt zum Beispiel auch die Erft bei geringen Niederschlägen nur sehr wenig Wasser, sodass der Erftverband auf die nährstoffreichen Zuleitungen aus Klärwerken dann besonders achten muss.

Dass sich im Rhein die Goldalge ausbreitet, hält IGB-Forscher Köhler für ausgeschlossen. Dafür fließe der Fluss zu schnell. "Solange die Fließgeschwindigkeiten relativ hoch sind, wird sich dort keine planktische Alge halten können, weil die dort einfach ausgespült wird."

Mögliche Gefahr für Menschen noch nicht klar

Klar ist, dass die Goldalgen unter anderem für Fische giftig sind, sagt Köhler. Das Problem sei, dass die Toxine etwa Zellmembranen auflösen - insbesondere die dünnhäutigen, gut durchbluteten Kiemen. Es sei aber noch nicht bewiesen, dass die Toxine in die Nahrungskette gelangen, also etwa giftig für Vögel wären.

Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie stellt klar: Zur Giftigkeit der Algen gebe es noch Forschungsbedarf. Es sei noch nicht abschließend geklärt, wer über Fische und Weichtiere hinaus betroffen sein könnte. Das gelte auch für potenzielle Auswirkungen auf den menschlichen Organismus.

Polen kündigt Untersuchung an und übt Kritik

Polens Umweltministerin Moskwa hat inzwischen eine intensive Suche nach den Gründen für das massenhafte Auftreten der Goldalgen in der Oder angekündigt. Ein künftiges Auftreten in polnischen Flüssen soll verhindert werden.

Es scheint auch dringend nötig, etwas zu unternehmen. Denn die Forscher des Leibniz-Instituts warnen schon: Wenn die Salzkonzentrationen nicht sinken und man weiterhin zu heiße und trockene Sommer erlebe, werde es zukünftig auch wieder zu solchen giftigen Massenentwicklungen kommen.

Kritik gibt es aus Polen an der deutschen Reaktion auf das Fischsterben. Polens Regierung bemängelt, dass deutsche Behörden nur wenige Ölsperren zum Auffangen der massenweise verendeten Fische in der Oder aufgestellt haben. "Hier stellt sich wirklich die Frage, warum wir auf polnischer Seite bereits 29 Ölsperren errichten konnten, in denen Fische gefangen werden, während auf deutscher Seite trotz unserer Bitten darum bisher nur drei solcher Barrieren errichtet wurden", sagte Vize-Außenminister Szymon Szynkowski vel Sek am Montag dem öffentlich-rechtlichen Sender Polskie Radio.

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