Pflege in Deutschland: Große Probleme und neue Wege
Aktuelle Stunde. 28.09.2023. Verfügbar bis 28.09.2025. WDR. Von Sascha Schwarz.
So viele Pflegekräfte brauchen wir in NRW
Stand: 28.09.2023, 17:30 Uhr
Die Prognose ist düster: Immer mehr Pflegebedürftige - und wenig Pflegepersonal. Die Situation dürfte sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Auch Nordrhein-Westfalen hat deshalb ein Problem.
Laut des Instituts der deutschen Wirtschaft sind in Deutschland schon heute etwa 35.000 Stellen in der Pflege nicht besetzt. Der Job ist hart, viele finden ihn wenig ansprechend. Manche Pflegekräfte kündigen, arbeiten lieber in anderen Branchen - oder wechseln zu Zeitarbeitsfirmen.
Lösungen müssen her. Darum geht es heute und morgen beim Deutschen Pflegetag in Berlin. Der Deutsche Pflegerat zum Beispiel fordert bessere Löhne und mehr Befugnisse für Pflegende. So soll der Beruf attraktiver werden.
Zahl der Pflegebedürftigen in 20 Jahren mehr als verdoppelt
Das ist auch deshalb wichtig, weil es immer mehr Pflegebedürftige gibt. Ihre Zahl hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt: 2003 erhielten etwas mehr als zwei Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung, derzeit sind es etwa fünf Millionen. Bis 2055 sollen es laut Statistischem Bundesamt etwa 6,8 Millionen sein.
Wie vielseitig und wie groß das Pflegeproblem ist, zeigt sich auch in NRW deutlich:
Problem Nr. 1: Es gibt immer mehr Pflegededürftige in NRW
In NRW wird die Zahl der Pflegebedürftigen nach einer Modellrechnung des Statistischen Landesamtes bis 2050 auf knapp 1,6 Millionen ansteigen. Das wären verglichen mit 2021 30,4 Prozent mehr. 2021 gab es 1,2 Millionen Pflegebedürftige.
Als pflegebedürftig gilt, wer sich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbstständig versorgen kann und deshalb auf Hilfe angewiesen ist - aus körperlichen, geistigen oder psychischen Gründen. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer bestehen – das bedeutet voraussichtlich für mindestens sechs Monate.
Außerdem muss ein Gutachter einen Pflegegrad feststellen. So steht es im Sozialgesetzbuch. Vom Pflege-Grad hängt ab, wie viel Hilfe ein Mensch benötigt. Es gibt insgesamt fünf Stufen. Bei Pflegegrad 1 bekommt die Person nur wenig Leistungen. Am meisten Leistungen bekommt die Person bei Pflegegrad 5.
Wie das Statistische Landesamt mitteilt, werden in Zukunft die meisten Pflegebedürftigen ausschließlich Pflegegeld beziehen, den Pflegegrad 2 haben und im Alter von 80 bis 89 Jahren sein. In den Kreisen wird ein stärkerer Zuwachs der Zahl Pflegebedürftiger erwartet als in den kreisfreien Städten.
Bei Menschen mit Pflegegrad 2 ist die Selbstständigkeit laut Pflegewegweiser NRW erheblich beeinträchtigt: Menschen können sich zum Beispiel nicht mehr alleine anziehen und sie können nicht mehr alleine Essen kochen.
Problem Nr. 2: In NRW fehlen mehr als 9.000 Pflegekräfte
In kaum einer Branche sind Mitarbeiter so rar wie in der Altenpflege, sagt das Institut der Deutschen Wirtschaft. Am 30. Juni dieses Jahres fehlten zuletzt 19.735 Pflegekräfte - Tendenz steigend. In Nordrhein-Westfalen waren es 4.768.
In der Gesundheits- und Krankenpflege sieht es nicht besser aus. Bundesweit waren zum 30. Juni 22.720 Stellen nicht besetzt. Davon entfallen allein 4.266 auf NRW. Vor zehn Jahren waren es bundesweit "nur" etwas mehr als 13.000, in NRW 2.862.
Problem Nr. 3: Menschen in NRW können sich das Pflegeheim nicht mehr leisten
Insgesamt zahlen die Pflegebedürftigen in NRW aktuell so viel wie nie zuvor für einen Heimplatz. Im Schnitt sind es 2.858 Euro pro Monat. Damit liegt NRW im bundesweiten Vergleich mit an der Spitze, rund 250 Euro über dem Bundesdurchschnitt.
Der liegt, nach Berechnungen des Verbands NRW Ersatzkassen, bei 2.610 Euro. Immer mehr Pflegebedürftige in NRW können sich nach WDR-Recherchen ihre Heimkosten nicht mehr leisten und müssen staatliche Hilfen beantragen.
Um zumindest das Personalproblem zu lösen, fordern Patientenschützer bessere Arbeitsbedingungen: "Wir brauchen endlich eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie und sichere Arbeitszeiten, die auch eingehalten werden", sagt Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz.
Auch die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, mahnt umfassende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen an. Dazu gehörten mehr Befugnisse für Fachkräfte, um ihren Beruf bei der pflegerischen Diagnostik, Therapie und Betreuung souverän ausüben zu können. "So schaffen wir Perspektiven, mit denen wir Pflegefachpersonen im Beruf und in Deutschland halten können."
Pflegerat: 4.500 Euro Einstiegsgehalt
Der Pflegerat fordert zudem unter anderem ein Einstiegsgehalt von 4500 Euro. "Außerdem müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dass Pflegefachpersonen auch unter erschwerten Bedingungen gut arbeiten können", sagte Vogler.
Dazu zähle, Bürokratie auf das Notwendige zu reduzieren sowie überflüssige und doppelte Kontrollen zu vermeiden. "Die Fachkräftesicherung in der Pflege ist der Schlüssel für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und damit für unsere Demokratie", betonte sie.
Lauterbach will Verbesserungen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte am Donnerstag unter anderem an, die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte attraktiver gestalten zu wollen und das Pflegestudium auszubauen. Gebraucht würden zugleich Pflegekräfte aus dem Ausland, allerdings nicht aus Ländern, in denen sie noch dringender benötigt würden als in Deutschland. Mit Ländern, die über Bedarf ausbilden, müsse man fair zusammenarbeiten. "Es sind keine Gastarbeiter, die wir benötigen", sagte der Minister.
Es gehe um ausländische Kräfte, die auch eine gute Lebensqualität ohne jede Diskriminierung haben müssten. Dafür müssten Abschlüsse anderer Länder klug anerkannt werden. Sinnvoll sei dies auch, wenn Sprachkenntnisse noch nicht gleich perfekt seien. Diese bauten sich sehr schnell auf.
Der Minister kritisierte zugleich Probleme mit Leiharbeit in der Pflege. Es würden teils große Gewinne mit der Vermittlung gemacht, Einrichtungen jagten sich Pflegekräfte ab und es gebe eine "Zweiklassen-Pflege" mit günstigeren Bedingungen für Leihkräfte. "Das kann nicht richtig sein."