Bundesweite WDR-Umfrage zur Überlastung bei Jugendämtern
Aktuelle Stunde . 08.01.2025. 19:12 Min.. UT. Verfügbar bis 08.01.2027. WDR. Von Nadine Minger.
Krise der Jugendämter: Landespolitiker fordern Konsequenzen
Stand: 08.01.2025, 16:50 Uhr
Personalmangel, unerfahrene Mitarbeiter, Stress - WDR-Recherchen zeigen eine Krise der Jugendämter. Bislang sind die Kommunen allein für die Jugendbehörde verantwortlich - nun wird mehr Aufsicht gefordert.
Von Martin Teigeler
Aufgrund der WDR-Recherchen über gefährdeten Kinderschutz durch überlastete Jugendämter zeigen sich Landespolitiker alarmiert. Konsequenzen werden diskutiert. Mehr als die Hälfte der fast 200 NRW-Jugendämter hatten an einer WDR-Befragung teilgenommen. Rund die Hälfte davon gab an, dass es im Allgemeinen Sozialen Dienst häufig oder sogar dauerhaft zu Überlastungen kommt.
SPD-Familienpolitikerin Nina Andrieshen
Die SPD-Abgeordnete Nina Andrieshen, zugleich Vorsitzende der Kinderschutzkommission im Landtag. sprach von einem "absoluten Alarmsignal". Vor allem in der Fallbearbeitung müssten Strukturen und Zuständigkeiten klarer werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten "viel besser bei ihrer Arbeit unterstützt und dauerhaft begleitet werden". Zudem dürfe nicht in Bereichen "gespart werden, in denen es darum geht, Eltern und Familien im Umgang mit sozialen Herausforderungen besser zu befähigen".
FDP: "Katastrophale Situation"
Als Reaktion auf die WDR-Recherchen fordert die FDP im Landtag mehr staatliche Aufsicht über die kommunalen Jugendämter. "Die Situation ist katastrophal und das seit Jahren. Jugendämter in NRW stehen massiv unter Druck und brauchen dringend Entlastung", sagte der FDP-Abgeordnete Marcel Hafke. Er fordert "schnelle Hilfsmaßnahmen" sowie "eine Rechtsaufsicht für die Jugendämter, um klare Standards und Unterstützung zu gewährleisten".
Die WDR-Befragung der Jugendämter fand im Sommer 2024 statt. Angeschrieben wurden die Leitungen von insgesamt 580 deutschen Jugendämtern. Den Teilnehmenden wurde Anonymität zugesichert. Rückmeldungen erhielt der WDR aus allen Bundesländern, in NRW lag die Teilnahmequote bei 60 Prozent.
Der Personalmangel im Allgemeinen Sozialen Dienst ist in Nordrhein-Westfalen etwas geringer als im Bundesdurchschnitt. Aber auch in NRW habe nur ein Drittel der Jugendämter, die auf die Fragen antworteten, genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen Fachbereich.
Anlauf für Verfassungsänderung?
"Wenn die Jugendämter am Anschlag sind, dann mache ich den Mitarbeitern keinen Vorwurf - aber der Politik", sagte FDP-Mann Hafke dem WDR. Alle müssten jetzt über ihren Schatten springen und die Strukturen ändern. Per Verfassungsänderung will er mehr Aufsichtsrechte für das Land erreichen. Die Ergebnisse einer WDR-Recherche bestätigten seit Langem bekannte Probleme. Die Belastung in den Jugendämtern wachse weiter, während die schwarz-grüne Landesregierung die Probleme ignoriere.
Norika Creuzmann, Sprecherin für Kinder- und Jugendschutz der Grünen im Landtag, sagte: "Der Personalmangel in der Jugendhilfe ist ein Problem, vor dem die Kommunen bundesweit stehen, genau wie leider auch in vielen anderen Bereichen der Verwaltung." Zacharias Schalley (AfD) sieht "erschreckende Missstände in den Jugendämtern Nordrhein-Westfalens". Dieser Zustand sei "ein weiteres alarmierendes Symptom für den Zerfall unserer sozialen Infrastruktur".
Landesfamilienministerin räumt "große Herausforderungen" ein
Die für Kinder und Jugendliche zuständige Landesministerin Josefine Paul (Grüne)
Mit dem Landeskinderschutzgesetz habe Nordrhein-Westfalen den Kinderschutz "strukturell gestärkt und unterstützt die Kommunen und Jugendämter bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe", sagte Familien-, Kinder- und Jugendministerin Josefine Paul (Grüne) auf WDR-Anfrage. Man wisse um "die großen Herausforderungen", vor denen die Kinder- und Jugendhilfe stehe.
Der Fachkräftemangel treffe die Jugendämter, "wie auch die vielen anderen Bereiche in den Sozial- und Erziehungsberufen, sehr stark". Mit der sogenannten Vertiefungsspur für künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Allgemeinen Sozialen Dienst will Paul "bereits im Studium den Praxistransfer" stärken und Studierende früh an die Arbeit der Jugendämter heranführen.
Unsere Quellen:
- Landtagsfraktionen und Landesregierung auf Anfrage
- eigene Recherchen
- mit Material der Nachrichtenagentur epd
Über dieses Thema berichtet der WDR auch in Hörfunk und Fernsehen. Die ARD Story “Jugendämter in Not: Kinder in Gefahr?” von Berit Kalus und Katharina Wolff ist ab dem 8.1.2025 in der ARD Mediathek und um 22:50 Uhr im Ersten zu sehen.