Teure Pflege - wird das Heim unbezahlbar?

Westpol 13.08.2023 06:40 Min. DGS Verfügbar bis 13.08.2028 WDR

Wenn Senioren sich das Heim nicht mehr leisten können

Stand: 13.08.2023, 11:30 Uhr

Immer mehr Pflegebedürftige in NRW können sich nach WDR-Recherchen ihre Heimkosten nicht mehr leisten und müssen staatliche Hilfen beantragen. Gesundheitsminister Laumann fordert jetzt eine Pflegevollversicherung.

Von Anne BielefeldAnne BielefeldSelina MarxSelina Marx

Christel Rathmann lebt seit fast zwei Jahren im Seniorenzentrum Erikaweg in Hilden. Nach einem Oberschenkelhalsbruch hatte sie sich nicht mehr zugetraut, alleine zu leben. Ihr Heimplatz ist, trotz des Zuschusses durch die Pflegeversicherung, für sie bald nicht mehr bezahlbar. Doch die 86-Jährige fühlt sich in dem Pflegeheim wohl und gut betreut.

Vor wenigen Wochen dann der Schock: Das Heim hat eine neue Abrechnung geschickt und verlangt auf einmal 350 Euro mehr im Monat.

Rente reicht nicht für die Heimkosten

Damit muss Christel Rathmann ab sofort einen Eigenanteil von insgesamt 3.500 Euro pro Monat aufbringen. Ihre Rente hat für die Heimkosten schon vorher nicht annähernd gereicht.

Hoffentlich sterbe ich, bevor ich ein Sozialfall werde. Christel Rathmann (86), Heimbewohnerin

Die ehemalige Fabrikarbeiterin nutzt ihr Erspartes, um sich das leisten zu können. Das braucht sich jetzt immer schneller auf. "Hoffentlich sterbe ich, bevor ich ein Sozialfall werde," sagt sie traurig.

Symbolbild Pflege

Christel Rathmann (links) im Seniorenzentrum

So setzen sich die Kosten im Heim zusammen:

Einen Teil der Kosten für einen Platz im Seniorenheim übernimmt die Pflegekasse. Der Betrag ist gedeckelt und beträgt, je nach Pflegegrad, derzeit maximal 2.005 Euro pro Monat.

Den anderen Teil müssen Heimbewohner aus eigener Tasche bezahlen. Dazu gehören unter anderem die Kosten für die Unterkunft, also eine Art Miete, das Essen, mögliche Gebäudesanierungen und einen Anteil für die Pflege.

Insgesamt zahlen die Pflegebedürftigen in NRW aktuell so viel wie nie zuvor für einen Heimplatz. Im Schnitt sind es 2.858 Euro pro Monat. Damit liegt NRW im bundesweiten Vergleich mit an der Spitze, rund 250 Euro über dem Bundesdurchschnitt. Der liegt, nach Berechnungen des Verbands der Ersatzkassen, bei 2.610 Euro.

Die Eigenanteile müssen die Pflegebedürftigen zahlen, weil die gesetzliche Pflegeversicherung – anders als die gesetzliche Krankenversicherung – nur eine "Teilkaskoversicherung" ist, die gar nicht darauf angelegt ist, alle Kosten zu übernehmen.

Darum ist der Eigenanteil so stark gestiegen

In ganz Deutschland erhalten Pflegebedürftige, die im Heim leben, derzeit höhere Rechnungen. Der Pflegeschutzbund BIVA berichtet von Beratungsgesprächen, in denen verzweifelte Senioren Mehrkosten von bis zu 1.600 Euro pro Monat beklagen.

Der Grund: Seit vergangenem September gilt ein Gesetz, wonach Pflegepersonal nach Tarif bezahlt werden muss. Durch den Fachkräftemangel schlagen zudem teure Leiharbeitnehmer zu Buche. Das müssen die Heimbewohner mittragen. Hinzukommen aktuell hohe Energiekosten und die Inflation.

Immer mehr Pflegebedürftige auf Sozialhilfe angewiesen

Die Folge: Mittlerweile bezieht in NRW fast jeder zweite stationär Pflegebedürftige Grundsicherung. Tendenz steigend. Allein in Duisburg ist die Zahl der Anträge in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um satte 20 Prozent gestiegen. Und auch andere Kommunen bestätigen auf WDR-Anfrage eine höhere Nachfrage nach Grundsicherung oder Hilfe zur Pflege.

Für viele Kommunen sei das eine große Belastung, teilt der NRW-Landkreistag mit. Bereits im vergangenen Jahr seien die Kosten für die Hilfe zur Pflege um neun Prozent auf insgesamt 572 Millionen Euro gestiegen. Und man rechne mit weiteren Steigerungen in diesem Jahr.

SPD fordert Übernahme der Investitionskosten

Aktuell unterstützt die Landesregierung etwa 90.000 Pflegebedürftige mit einem Pflegewohngeld in Höhe von durchschnittlich 481 Euro pro Monat. Es soll helfen, einen Teil der Kosten abzufedern.

Der SPD-Fraktion im Landtag geht das nicht weit genug. Sie fordert die komplette Übernahme der sogenannten Investitionskosten vom Land. Die Investitionskosten sind Kosten der Heimbetreiber für Gebäude, Ausstattung und auch die Instandhaltung gemeint. Sie werden gegenwärtig auf die Bewohnerinnen und Bewohner umgelegt.

Gesundheitsminister Laumann fordert Pflegevollversicherung

Für NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist das keine sinnvolle Lösung. Er will stattdessen eine grundlegende Reform und fordert im Gespräch mit dem WDR-Magazin Westpol erstmals eine Pflegevollversicherung für die stationäre und ambulante Pflege. „Pflege wird, einfach auch weil es eine menschliche Dienstleistung ist, die fair bezahlt werden soll, immer teuer sein.“, so der Minister. Deshalb brauche Deutschland „eine Vollversicherung, was die pflegebedingten Kosten angeht“.

Bundesregierung will mögliche Vollversicherung prüfen

Eigentlich wollte die Bundesregierung prüfen, ob es eine solche Vollversicherung für Pflegekosten geben kann. Zumindest steht das so im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Auf WDR-Anfrage heißt es dazu aus dem SPD-geführten Bundesgesundheitsministerium: "Konkret wird das BMG bis zum 31. Mai 2024 Empfehlungen für eine stabile und dauerhafte Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung vorlegen." Bis dahin soll auch die Vollversicherung als Option geprüft worden sein.

Pflegebedürftige Heimbewohner wie Christel Rathmann in Hilden nützt diese politische Debatte derzeit nicht. Sie kann nur hoffen, dass ihr Erspartes so lange reicht, wie sie lebt. Der Gang zum Amt am Ende ihres Lebens würde sie sehr belasten, sagt sie.  

Über dieses Thema berichtet „Westpol“ am 13.08.2023 um 19:30 Uhr im WDR-Fernsehen.

Laumann fordert Vollversicherung für Pflegebeschäftigte

WDR Studios NRW 13.08.2023 00:21 Min. Verfügbar bis 20.08.2025 WDR Online