Mehr als 40.000 Erdbeben-Tote - mehrere Hilfsorganisationen beenden Einsatz

Stand: 15.02.2023, 07:26 Uhr

In der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien ist die Zahl der Toten nach den verheerenden Erdbeben auf mehr als 40.000 gestiegen. Mehrere Hilfsorganisationen beendeten ihren Rettungseinsatz.

Unter den Tausenden eingestürzten Gebäuden im türkisch-syrischen Grenzgebiet gibt es vermutlich noch Zehntausende Erdbebenopfer. Bis Mittwochmorgen stieg die Zahl der Toten auf mehr als 40.000. Nothilfekoordinator Martin Griffiths rechnete sogar mit bis zu 50.000 Toten. Hinzu kommen mehr als 80.000 Verletzte. Tausende werden noch vermisst.

Die Hoffnung, weitere Überlebende zu finden, ist gering. "Die Rettungsphase, bei der Menschen lebend aus den Trümmern gezogen und bei der unter Trümmern Verstorbene gefunden werden, neigt sich dem Ende", sagte Griffiths am Montag.

Erfolgsmeldungen bei Bergungsarbeiten

Trotz der weiterhin kritischen Situation gibt es immer wieder "unglaubliche Überlebensgeschichten", die auch die Helfer zu Tränen rühren: Nach 163 Stunden unter Trümmern befreiten Helfer in der Provinz Hatay am späten Sonntagabend unter anderem einen siebenjährigen Jungen und eine 62-Jährige, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am frühen Montagmorgen berichtete.

In der Provinz Kahramanmaras wurde laut der Nachrichtenagentur Anadolu ein 45-jähriger Mann gerettet, der 162 Stunden verschüttet gewesen war. Während der Rettungsarbeiten erzählte er den Rettungskräften, dass er auf den Ofen neben sich geschlagen habe, um mit Geräusche auf sich aufmerksam zu machen, wie es hieß. 158 Stunden musste ein zehnjähriger Junge in der Stadt Adimayan auf Rettung warten. Sein erster Wunsch, Fruchtgummis zu bekommen, habe die Herzen der Retter berührt.

Hilfsteams beenden Einsatz

Trotz dieser glücklichen Geschichten beendeten mehrere deutsche Hilfsorganisationen eine Woche nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ihren Einsatz in der Türkei. Vom Technischen Hilfswerk landete ein 50-köpfiges Team heute in Deutschland. Weitere Einsätze in der Türkei seien aber nicht ausgeschlossen. Auch das gemeinsame Team von ISAR Germany und der Rettungshunde-Organisation BRH kehrte zurück.

Die Helfer wurden unter lautem Applaus, mit Blumen und Tränen am Flughafen Köln/Bonn empfangen. Erschöpft, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Die Teams haben im Katastrophengebiet knapp eine Woche lang rund um die Uhr gearbeitet - aufgeteilt in Tag- und Nachtschichten. Insgesamt kamen 92 Helfer auf zwei und 11 auf vier Beinen von Kirikhan nach Deutschland zurück. Gemeinsam konnten sie fünf Menschenleben retten.

Die Einsatzkräfte der Hilfsorganisation @fire kehrten bereits am Sonntag nach Deutschland zurück. "Hinter unserem Team liegt der bislang umfangreichste Auslandseinsatz in der Geschichte der Organisationen", erklärte BRH-Präsident Jürgen Schart. Der Geschäftsführer von Isar Germany, Michael Lesmeister, lobte die Einsatzkräfte für ihre "großartige Arbeit". Die Helfer hätten "teilweise bis an den Rand der Erschöpfung gearbeitet, um Menschen zu retten". 

Fast eine Woche nach dem Beben wächst die Seuchengefahr

Nach dem Retten von Überlebenden folgen nun neue Herausforderungen. "In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen", so Thomas Geiner, Mediziner und Teil des Teams der Katastrophenhelfer vom Verein Navis. Durch die vielen ungeborgenen Leichen könne Wasser verunreinigt werden. Vielerorts haben Leute zudem keinen Zugang zu irgendeiner Art von Toilette. Auch dadurch könnten Keime in das Grundwasser gelangen.

Geiner sagte, in der Region sehe man alles an Verletzungen, was man sich vorstellen könne. Es brauche alles an möglicher Hilfe. Die Gesundheitsinfrastruktur ist stark beschädigt. "Die Kunst der nächsten Tage wird es sein, Hilfe dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird." Bei der Größe der Region - die flächenmäßig fast so groß wie Deutschland ist - sei es aber so gut wie unmöglich, überall die nötige Infrastruktur bereitzustellen.

26 Millionen Menschen sind vom Erdbeben betroffen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht mittlerweile davon aus, dass 26 Millionen Menschen in der Türkei und Syrien von der Katastrophe betroffen sein könnten, darunter etwa fünf Millionen Menschen, die ohnehin als besonders schutzbedürftig gelten. Mindestens 870.000 Menschen in beiden Ländern müssen nach Angaben der UNO mit warmen Mahlzeiten versorgt werden, bis zu 5,3 Millionen Menschen könnten allein in Syrien obdachlos geworden sein.

Bundesregierung will Versorgung in Nordsyrien verbessern

Die Bundesregierung arbeitet daran, die Versorgung der Menschen im schwer erreichbaren Nordsyrien zu verbessern. Das Problem sei, dass das "Regime" in der Vergangenheit keine humanitären Hilfen ins Land gelassen habe, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vergangene Woche dem WDR. Auf die Frage, ob die Bundesregierung mit Damaskus in Kontakt stehe, sagte Baerbock: "Wir sind mit allen Akteuren in Verbindung, mit denen wir jetzt erreichen können, dass die Hilfe ankommen kann."

Zerstörung, Verzweiflung - und ein bisschen Hoffnung

Nach den verheerenden Beben in der Türkei und Syrien läuft ein Wettlauf gegen die Zeit. Tausende werden noch unter den Trümmern vermutet - ihre Überlebenschancen sinken stündlich. Momentaufnahmen aus dem Krisengebiet.

Yigit Cakmak wieder in den Armen seiner Mutter

Der achtjährige Yigit Cakmak ist wieder mit seiner Mutter vereint. Rettungskräfte im türkischen Hatay hatten den Jungen zuvor aus den Trümmern gerettet - nach 52 Stunden.

Der achtjährige Yigit Cakmak ist wieder mit seiner Mutter vereint. Rettungskräfte im türkischen Hatay hatten den Jungen zuvor aus den Trümmern gerettet - nach 52 Stunden.

Für Mesut Hancer aus der Provinz Kahramanmaras gibt es keine Hoffnung mehr. Seine 15 Jahre alte Tochter Irmak hat den Einsturz des Hauses nicht überlebt. Ihr Vater hält ihre Hand - und will nicht loslassen.

Erst aus der Luft ist das wahre Ausmaß der Zerstörung in Hatay zu erkennen.

Wie die Stadt irgendwann aus den Trümmerhaufen neu erstehen könnte - das ist noch unvorstellbar.

Wie hier in Antakya sieht es in vielen Städten nahe des Epizentrums aus. Die Suchmannschaften geben ihr Bestes - und können doch meist nichts ausrichten.

Auch was stehen geblieben ist, könnte jederzeit einstürzen: Für die Helfer besteht Lebensgefahr.

Davon lassen sich die Freiwilligen aber nicht abschrecken. Manchmal gelingt es doch, Verschüttete noch lebend zu orten und zu retten.

Auch wenn die Hoffnung oft vergeblich ist.

Sie haben überlebt - doch die Trauer und Angst um ihre Verwandten ist unerträglich.

Inmitten von Tod und Zerstörung im syrischen Idlib ein Hoffnungsschimmer: Das Bild eines kleinen Mädchens, das noch lebend aus den Trümmern gezogen wurde, geht um die Welt.

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