Akten, darauf steht "Bürgergeld"

Faktencheck Bürgergeld: Warum es sich doch lohnt, arbeiten zu gehen

Stand: 14.11.2022, 14:53 Uhr

In den sozialen Medien kursiert ein Rechenbeispiel zum neuen Bürgergeld. Demnach bekommen Bürgergeld-Empfänger mit einem Minijob genauso viel Geld wie Geringverdiener in Vollzeit. Experten stellen in der Rechnung aber Fehler fest.

Von David Zajonz

Das geplante Bürgergeld ist im Bundesrat vorerst gescheitert. Schon seit Wochen wird darüber diskutiert, ob sich Arbeit für Geringverdiener noch lohnt, wenn es das Bürgergeld gibt.

Dazu machte dieses Rechenbeispiel die Runde: Ein Arbeitnehmer in Vollzeit arbeitet 160 Stunden pro Monat, ein Bürgergeld-Bezieher mit Minijob kommt auf monatlich 37 Stunden. Nach Abzug von Steuern, Abgaben, Miete und Nebenkosten landen beide bei dem gleichen verfügbaren Einkommen - 780 Euro.

Auf den ersten Blick wirkt das für viele Nutzerinnen und Nutzer so ungerecht, dass sich das Schaubild schnell verbreitet und bei Instagram, Facebook und TikTok geteilt wird. Tatsächlich aber verdient der Vollzeit-Beschäftigte deutlich mehr als die andere Person. Die Schweriner Regionalzeitung, von der die Grafik ursprünglich erstellt wurde, hat sie inzwischen von ihrem Instagram-Kanal gelöscht.

Virale Grafik zum Bürgergeld

Bringen Bürgergeld und Vollzeitjob gleich viel Geld? Nein, sagen Experten. Die Grafik wurde mittlerweile gelöscht.

Größere Abzüge beim Minijob

Das Rechenbeispiel enthalte "sachliche Fehler", stellt Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln fest. In der Rechnung bekommt der Bürgergeld-Bezieher 280 Euro netto aus einem 450-Euro-Job. In Wirklichkeit seien die Abzüge aber höher, sagt Schäfer. Abzugsfrei seien nur die ersten 100 Euro Zuverdienst. Vom restlichen Teil seines Minijobs bekomme der Betroffene nur 20 Prozent und lande damit bei insgesamt 170 Euro Zuverdienst.

Gleichzeitig dürfte das Netto-Einkommen des Vollzeit-Beschäftigten in der Realität höher liegen als in der Grafik. IW-Ökonom Schäfer kommt in seiner eigenen Berechnung bei 2.060 Euro brutto auf 1.482 Euro netto (in der Grafik 1.410 Euro). Allein dadurch ergibt sich also ein deutlicher Einkommensunterschied zwischen den beiden Personen. Außerdem sei zu prüfen, ob der Vollzeit-Berufstätige Anspruch auf ergänzende Transfers, wie zum Beispiel Wohngeld, habe, gibt Schäfer zu bedenken.

Bürgergeld deutlich höher als Hartz IV

Hintergrund der Diskussionen ist die von der Bundesregierung geplante Einführung des Bürgergelds, mit dem ab kommendem Jahr das bisherige Hartz IV abgelöst werden soll. Nach jetzigem Stand soll das Bürgergeld 502 Euro im Monat betragen. Damit wäre es knapp zwölf Prozent höher als der derzeitige Hartz IV Regelsatz von 449 Euro.

Allerdings bekommen dann auch berufstätige Geringverdiener deutlich mehr Geld als jetzt. Denn im Oktober steigt der Mindestlohn von aktuell 10,45 auf 12 Euro pro Stunde. Mit rund 15 Prozent fällt die Erhöhung hier noch deutlicher aus als beim Bürgergeld, eigentlich müsste der Abstand also größer werden.

Was ändern die steigenden Energiekosten?

Nach Einschätzung von Eric Seils vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) sind in der Grafik die Wohn- und Nebenkosten deutlich zu hoch angesetzt. Unter Berufung auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom Mai rechnet er mit 337 Euro, die in Schwerin für einen Alleinstehenden durchschnittlich übernommen werden. Das wären fast 300 Euro weniger als in der Grafik angenommen. Selbst wenn sich die Heizkosten durch die Energiekrise verfünffachen sollten, lägen die Gesamtkosten demnach noch immer unter dem in der Grafik angenommenen Niveau.

Am Beispiel der steigenden Energiepreise wird dennoch eine Problematik deutlich, von der insbesondere Geringverdiener betroffen sind, die keine staatliche Unterstützung erhalten. Während die Heizkosten von Bürgergeld-Empfängern (anders als ihre Stromkosten) in der Regel vollständig vom Staat übernommen werden und Wohngeld-Empfänger einen Heizkostenzuschuss bekommen, könnten einige Geringverdiener leer ausgehen.

Fazit: Berufstätige verdienen mehr

Die Berechnung der Differenz zwischen Bürgergeld-Empfängern und Vollzeit-Beschäftigten ist aufgrund des Zusammenwirkens verschiedener staatlicher Leistungen und Abzüge hochkomplex. Der Wohnort oder die Art der Heizung können eine erhebliche Rolle spielen.

Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass Berufstätige in Deutschland mehr Geld zur Verfügung haben als Menschen, die ausschließlich von staatlichen Leistungen und Minijobs leben. Unter bestimmten Umständen kann der Einkommensunterschied allerdings so gering sein, dass manche Ökonomen Zweifel haben, ob er einen wirklichen Arbeitsanreiz bietet. Das aber ist eine Diskussion, die sehr viel älter ist als das Bürgergeld.

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