Bislang waren es nur Gerüchte und Anschuldigungen von Privatpersonen, nun sind auch die Behörden involviert: Seit Mittwoch ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft offiziell gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann. Es gehe dabei um "Tatvorwürfe aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln", teilte die Behörde mit. Laut einer Sprecherin habe es mehrere Strafanzeigen gegeben. Die Personen, die die Anzeigen gestellt hätten, seien nicht am etwaigen Tatgeschehen beteiligt gewesen, hieß es weiter. Mehr Angaben zu dem Verfahren könne man derzeit nicht machen.
Wie der rbb berichtete, soll es sich in dem Ermittlungsverfahren um ein Delikt nach Paragraph 177 des Strafgesetzbuchs handeln, in dem es um sexuelle Übergriffe, Nötigung und Vergewaltigung geht. Dort heißt es: "Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt (...), wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Was bedeutet die Einleitung des Verfahrens genau?
Wenn wie jetzt im Fall Lindemann ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, bedeutet das laut dem ARD-Rechtsexperten Frank Bräutigam, dass die Staatsanwaltschaft "tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat" sieht. Allerdings sei die Schwelle in solchen Fällen "sehr niedrig". Die Aufnahme von Ermittlungen bedeute nicht zwangsläufig, dass man "gesicherte Erkenntnisse" habe, sondern lediglich, dass die vorgeworfenen Straftaten prinzipiell möglich gewesen wären.
Wenn Aussage gegen Aussage steht
Ob dem Ermittlungsverfahren ein Strafprozess gegen Lindemann folgt, hängt von den weiteren Ermittlungen ab. Sollte aus dem Anfangsverdacht ein "hinreichender Tatverdacht" werden, der dazu führt, dass die Behörden eine Verurteilung für wahrscheinlich halten, kommt es zum Prozess. Bräutigam verwies in diesem Zusammenhang allerdings auf die Schwierigkeiten der Ermittlungsbehörden, die Vorwürfe zu beweisen. In Fällen wie diesen stehe oft Aussage gegen Aussage. Zudem könne man Betäubungsmittel wie beispielsweise K.o.-Tropfen sehr schnell nach einer möglichen Tat nicht mehr nachweisen.
Lindemann wird seit Wochen vorgeworfen, vor, während und nach Konzerten seiner Band junge Frauen getroffen zu haben, die oftmals extra rekrutiert worden seien. Dabei soll es zu sexuellen Handlungen gekommen sein, die von mehreren Frauen als gewalttätig und missbräuchlich beschrieben wurden. Es seien Alkohol und Drogen angeboten worden. Auch der Vorwurf, man habe ihnen K.o.-Tropfen verabreicht, um sie bewusstlos zu machen, wurde geäußert.
Wie reagiert die Plattenfirma von Rammstein?
Auch wenn noch nicht klar ist, ob es letztlich zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kommt, haben die Ermittlungen schon Konsequenzen für Lindemann und seine Band. Ihre Plattenfirma Universal Music Deutschland hat nach eigener Aussage die "Marketing- und Promotion-Aktivitäten für die Recordings der Band bis auf Weiteres ausgesetzt", wie es in einem Statement von Donnerstag heißt, das dem NDR und der Süddeutschen Zeitung vorliegt
Die Vorwürfe gegen Till Lindemann hätten die Plattenfirma schockiert, heißt es darin weiter. "Wir sind davon überzeugt, dass eine vollumfängliche Aufklärung der Anschuldigungen, auch durch die Behörden, unbedingt erforderlich ist und ebenfalls im Interesse der gesamten Band liegen muss."
Anfeindungen und Todesdrohungen gegen Shelby Lynn
Die Vorwürfe gegen Lindemann kamen nach einem Rammstein-Konzert Ende Mai im litauischen Vilnius auf. Die Nordirin Shelby Lynn, die das Konzert besucht hatte, behauptete, ihr seien bei einer Party im Rahmen des Konzerts K.o.-Tropfen verabreicht worden. Sie habe Erinnerungslücken und sei am nächsten Morgen mit Verletzungen und blauen Flecken aufgewacht. Entsprechende Fotos postete sie auf Twitter und Instagram.
Lynn zeigte sich auf Twitter erfreut über das Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft. Sie dankte den Beteiligten sowie "jedem der tapferen Mädchen", die entsprechende Aussagen gemacht und sie unterstützt hätten. Nachdem Lynn ihre Vorwürfe publik gemacht hatte, wurde sie offenbar von vielen Menschen - mutmaßlich Rammstein-Fans - angegangen. Auch Todesdrohungen soll sie erhalten haben.
Lindemann und Rammstein haben bislang alle Vorwürfe zurückgewiesen und einen Anwalt eingeschaltet. Die Band befindet sich derzeit auf Europatour.