Protesttag Haus- und fachärztliche Praxen

Aktuelle Stunde 02.10.2023 UT Verfügbar bis 02.10.2025 WDR

Arztpraxen geschlossen - Protest gegen Lauterbach-Politik

Stand: 02.10.2023, 21:19 Uhr

Viele Praxen waren am Montag geschlossen. Der Grund: Tausende Haus- und Fachärzte wollten gegen die Gesundheitspolitik von Karl Lauterbach (SPD) protestieren.

Die Ärzte werfen dem Bundesgesundheitsminister unter anderem vor, dass er die Belange der niedergelassenen Mediziner missachte und das Gesundheitssystem in "Richtung Staatsmedizin umbauen" wolle. Zudem seien viele Praxen durch Inflation, hohe Energiepreise oder auch Fachkräftemangel in Not.

Lauterbach hatte am Sonntagabend auf den angekündigten Protest reagiert: "Am Brückentag schließen viele Praxen, wie die Apotheker wollen auch sie mehr Geld. Im Mittel (Median) verdienen sie aber nach Abzug aller Kosten um die 230.000 Euro pro Jahr", schrieb Lauterbach auf der Internet-Plattform X (früher: Twitter) und legte nahe, dass für höhere Honorare der Beitragssatz der Krankenversicherten steigen müsste.

Die Ärzte wehren sich gegen diese Rechnung. Ein durchschnittlicher Verdienst von 230.000 Euro im Jahr sei für einen Großteil der niedergelassenen Hausärzte völlig illusorisch, heißt es. Nach Abzug aller Kosten liege das durchschnittliche jährliche Nettoeinkommen tatsächlich bei 85.555 Euro. Das entspreche einem Stundenlohn von gerade mal 41 Euro. Diese Meinung vertrit auch Wieland Dietrich, ein Dermatologe aus Essen, wie er dem WDR sagte: "Wir haben steigende Energiekosten, steigende Personalkosten, es gibt steigende Kosten für Labormaterialien, für Praxisbedarf. Da wird es für viele Ärzte schwierig, wirtschaftlich zurechtzukommen - und die Attraktivität der ärztlichen Tätigkeit in den Praxen sinkt natürlich auch deutlich."

Kampagne "Praxis in Not"

Aufgerufen zum Streik hatte der Virchowbund, der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Deutschland. Knapp 20 weitere Ärzteverbände sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen hatten sich der Aktion angeschlossen. Der Virchowbund rechnet damit, dass deutschlandweit eine fünfstellige Zahl von Arztpraxen geschlossen sein werden. Auch in NRW könnten Patienten vor verschlossenen Praxistüren stehen.

Der Protest ist Teil der Kampagne "Praxis in Not". Bundesweit sollen regionale Proteste, Praxisschließungen, Informationsveranstaltungen und regionale Demonstrationen stattfinden. Zu den zentralen Forderungen zählen unter anderem die Wiedereinführung der Neupatientenregelung, das Ende der Budgetierung, eine Krankenhausreform und mindestens 5.000 Medizinstudienplätze mehr pro Jahr.

Mehr Ausbildung gleich mehr Hausärzte?

Ob die letztgenannte Forderung nach mehr Studienplätzen tatsächlich zu einer besseren Versorgung auf dem Land führen würde, ist allerdings umstritten. Seit 2005 habe sich die Zahl der Studienplätze bereits um 30 Prozent erhöht, sagte Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultätentags, dem WDR am Montag. Abgesehen von den hohen Kosten, die 5.000 neue Studienplätze mit sich bringen würden, gebe es an den medizinischen Hochschulen derzeit nicht die nötige Infrastruktur.

Viel wichtiger, sagt Frosch, sei das Problem, dass "die Ressource Arzt nicht effektiv" eingesetzt werde. In den Städten gebe es oft ein Überangebot, auf dem Land sei die Versorgung nicht immer gesichert. "Man muss sich schon die Frage stellen, ob ein Gesundheitssystem, das auf Solidarität beruht und ein Staat, der dieses sehr, sehr teure Studium komplett finanziert, nicht auch Eingriffsmöglichkeiten geben sollte, um diese fehlerhafte Verteilung geografisch und fachlich auszugleichen." Laut Statistisches Bundesamt kostet die Ausbildung eines Arztes die Allgemeinheit etwa 240.000 Euro.

Kritik an dem Protest

Die Schließung von Arztpraxen am Montag aus Protest gegen die Gesundheitspolitik hat auch Kritik hervorgerufen. "Jede Berufsgruppe kann für bessere Bezahlung kämpfen. Doch Praxisschließungen treffen in erster Linie kranke und schwache Menschen", sagte Patientenschützer Eugen Brysch am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Hingegen bleiben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Krankenkassen nach seiner Einschätzung von den Aktionen der Kassenärzte unberührt.

Bereitschaftsdienst für medizinische Notfälle

Für gesundheitliche Probleme, die nicht bis zum nächsten Tag warten können, soll es laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung am Protesttag einen flächendeckenden Not- und Bereitschaftsdienst geben. Die Telefonnummer und die Homepage des ärztlichen Bereitschaftsdienst gibt es hier:

Unsere Quellen:

  • Agenturmeldungen der Deutschen Presse-Agentur
  • praxisinnot.de
  • X-Post von Karl Lauterbach vom 01.10.2023
  • Interview mit Matthias Frosch im "Morgenecho" bei WDR5 (02.10.2023)

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