Stichtag

22. November 1956: Olympische Spiele in Melbourne eröffnet

Mit nur einer Stimme Vorsprung hat sich die australische Stadt Melbourne als Austragungsort der Spiele der 16. Olympiade durchgesetzt - gegen Buenos Aires, Montreal, Mexico City und sechs US-Konkurrenten. Die ersten olympischen Spiele auf der südlichen Erd-Halbkugel sind für die Athleten aus Europa und Nordamerika die ersten Sommerspiele im Winter. Bei der Eröffnung am 22. November 1956 sprechen Redner von Völkerverständigung und Weltfrieden. Doch Melbourne steht im Schatten politischer Konflikte. Die Sowjetunion ist in Ungarn einmarschiert. Aus Protest boykottieren die Niederlande, Spanien und die Schweiz die Spiele. Ägypten, Libanon und Irak sagen wegen der Suez-Krise ab. Außerdem fehlt die Volksrepublik China, weil Taiwan teilnimmt. 3.300 Sportler aus 67 Ländern gehen in Melbourne an den Start. So wenige wie seit 30 Jahren nicht mehr.

Als der Herzog von Edinburgh die Spiele eröffnet, sind die ersten Medaillen bereits seit einem halben Jahr vergeben. Entgegen der Bestimmungen der olympischen Charta muss zum ersten - und bisher einzigen - Mal eine Sportart von den übrigen Wettbewerben abgetrennt werden. Hans-Günter Winklers Goldmedaillen-Ritt auf seiner Stute Halla findet nicht in Melbourne statt, sondern in Stockholm. Weil sich die australische Regierung weigert, die strengen Quarantäne-Bestimmungen zu lockern, müssen die olympischen Reiterspiele nach Schweden verlegt werden.

Erste deutsch-deutsche Mannschaft bei Sommerspielen

In Melbourne findet eine weitere Premiere statt: Zum ersten Mal nehmen DDR-Sportler an olympischen Sommerspielen teil. Da Ostdeutschland damals vom Internationalen Olympischen Komitee nicht als eigenständiger Staat anerkannt ist, treten die DDR-Athleten - wie bereits bei den Winterspielen 1956 in Cortina d'Ampezzo - im Rahmen einer gesamtdeutschen Mannschaft an. Bei der Eröffnung marschieren sie vereint unter einer schwarz-rot-goldenen Fahne mit olympischen Ringen und begleitet von einer neutralen Nationalhymne ein. Gespielt wird "Freude schöner Götterfunken". In Melbourne kommt die deutsch-deutsche Mannschaft mit sechs Mal Gold und insgesamt 26 Medaillen in der Nationenwertung auf Rang sieben. Die Einbeziehung der DDR in die deutsche Olympia-Mannschaft bleibt bis Tokio 1964 bestehen. Dann erhält die DDR-Mannschaft einen eigenen Status.

Die Sommerspiele 1956 sind die ersten, die live im Fernsehen übertragen werden. Als der 17-jährige Melbourner John Wing die Übertragung der Eröffnungsfeier sieht, schreibt er den Organisatoren einen Brief. Darin schlägt der Schreiner-Lehrling vor, das Protokoll der Schlussfeier zu ändern. Geplant ist, die Sportler - wie bei der Eröffnung - nach Nationen getrennt ins Stadion einmarschieren zu lassen. Wings Vorschlag: "Die Sportler sind eine große, olympische Familie. Sie sollten nicht unter dem Banner verschiedener Nationen marschieren, sondern sich bei der Schlussfeier frei bewegen und den Zuschauern nach Belieben zuwinken können. Kriege, Politik und Ländergrenzen wären dadurch vergessen. Die ganze Welt könnte eine Nation sein." Die Idee des australischen Teenagers wird umgesetzt. Die ungezwungene Schlussfeier ist seither olympische Tradition.

Stand: 22.11.06