Schon in der Schule gilt das ungeschriebene Gesetz: "Du sollst nicht petzen!". Wer es doch tut, gilt als Verräterin oder als Verräter und wird oft ausgestoßen. Gleichzeitig heißt das aber auch: Missstände bleiben unter dem Teppich. Egal ob Mobbing, Erpressung, Beleidigung, Rassismus: Die Opfer schweigen aus Angst, und die Täterinnen und Täter machen ungehindert weiter. So lernen die meisten gar nicht, wie sie Missstände offen ansprechen können.
Später, im Erwachsenenalter, geht das Problem weiter. Dann ist es vielleicht der Kollege, der notorisch Kleinigkeiten mitgehen lässt. Oder der Nachbar, der schwarz arbeitet und gleichzeitig Sozialleistungen bezieht. Immer steht die Frage im Raum: "Petzen? Oder lieber wegschauen?" Wer Missstände öffentlich macht, wird oft als Denunziant beschimpft, als Nestbeschmutzer oder als Verräter.
Er gilt als zutiefst illoyal und riskiert, ignoriert und ausgestoßen zu werden. Deshalb geraten Menschen in solchen Situationen meist in einen tiefen Wertekonflikt. Denn es stehen zwei Normen in Konkurrenz zueinander: ethisches Verhalten auf der einen Seite und der Wunsch nach Zugehörigkeit auf der anderen Seite.
Autorin: Karin Lamsfuß
Redaktion: Chris Hulin