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Luigi Nono, „Intolleranza 2021“ (3. Szene des ersten Teils) an der Wuppertaler Oper

05.06.2021 – Luigi Nono, "Intolleranza 2021“ in Wuppertal

Stand: 05.06.2021, 12:25 Uhr

Kurz vor dem allgemeinen Ende des Corona-Lockdowns an den Theatern hat die Oper Wuppertal, während die anderen Häuser schon wieder öffnen, noch eine bemerkenswerte Onlinepremiere auf den Spielplan gesetzt: Luigi Nonos „Intolleranza“. Für die Presse gab es vorab eine Präsenzaufführung

Bemerkenswert, weil Nono 1960 hier ein Multimedia-Musiktheater entworfen hat mit Tonbandzuspielungen des Chors und Film- und Fotoeinblendungen auf der Bühne: ideale Werkvoraussetzungen also für einen Stream.

Der Dirigent Johannes Harneithat hat dieses Konzept musikalisch modifiziert. Die Musiker sind überall im Raum platziert, die - hervorragenden - Solisten des Chorwerks Ruhr in den Rängen, die Blechbläser und das Schlagwerk gestaffelt auf der Hinterbühne, die Streicher im Graben, die Holzbläser im rückwärtigen Teil des Hauses. Es ist eine Weiterentwickelung im Geiste des Stücks, von der die Journalisten profitierten. Im Stream wird das Publikum dann wieder sozusagen auf die ursprüngliche Anlage zurückgeführt.

Nono behandelt in dem Stück das Schicksal eines Gastarbeiters, der in einer Grube arbeitet, in die Heimat zurückwill, in die Wirren eines Aufstands gerät, in Gefangenschaft gefoltert wird, auf der Flucht dann in einer Sintflut zu Tode kommt. Die Szenen sind angelehnt an Ereignisse der Zeit um 1960: neofaschistische Tendenzen in Italien, Befreiungsbewegungen in Algerien, Flutkatastrophe im Po-Delta. Deswegen heißt das Stück „Intollerenza 1960“ mit der Jahreszahl im Titel.

Der Regisseur Dietrich W. Hilsdorf und sein Bühnenbildner Dieter Richter haben daraus „Intolleranza 2021“ gemacht. Es sind nun Arbeiter in einer Fleischfabrik, die Demonstranten tragen Schweinskopfmasken und die Sintflut hat natürlich mit dem Klimawandel zu tun.

Während der Folterszene sieht man – während der Gefangenenchor Verse aus Paul Éluards Gedicht „Liberté“ singt - einen zitternden und krampfenden Menschen, eine Figur die Hilsdorf hinzugefügt hat und einfach „Ein Körper“ nennt, dargestellt von Andrey Berezin, der seit 1994 in der Kompanie von Pina Bausch angehört. Das Hineinholen des Tanztheaters gehört ebenso in den Bereich der Stückentwicklung

Der Tenor Markus Sung-Keun Park singt den Gastarbeiter in gespanntem dramatischen Ausdruck, ebenso Annette Schönmüller die Frau, die ihn in nicht in Heimat ziehen lassen will und ihn verflucht. Hingegen wird seine spätere Gefährtin – zunächst in einer Burka verhüllt – von Solen Mainguené als eine Frau von verstörender Gelassenheit gezeichnet, die beim Anschwellen der Sintflut in einem Notizbuch blättert. Das sind in Wuppertal regelrechte Opernszenen, während der Chor  - oft a cappella – eindringliche Sentenzen und Parolen schmettert.

Dagegen veranlassen Johannes Harneit und sein Co-Dirigent Stefan Schreiber das Orchester zu fein ziseliertem Spiel und machen es dem Hörer leicht, Nonos auch für heutige Ohren immer noch avancierte Tonsprache wertzuschätzen.

Pressepremiere 04.06.2021, ab 18. 06.2021 als Stream

Besetzung:
Ein Emigrant: Markus Sung-Keun Park
Seine Gefährtin : Solen Mainguené
Eine Frau: Annette Schönmüller
Ein Algerier: Simon Stricker
Ein Gefolterter: Sebastian Campione
Ein Körper: Andrey Berezin
Polizei: Marco Agostini, Tanja Ball, Katharina Greiß, Tomasz Kwiatkowski

Opernchor der Wuppertaler Bühnen
Chorwerk Ruhr
Statisterie der Wuppertaler Bühnen
Sinfonieorchester Wuppertal

Musikalische Leitung: Johannes Harneit
Inszenierung: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Nicola Reichert
Video: Gregor Eisenmann
Chor: Markus Baisch
Einstudierung Chorwerk Ruhr: Sebastian Breuing
Musikalische Assistenz, Subdirigat: Stefan Schreiber