Wirtschaft stagniert, deshalb wird jetzt entbürokratisiert | Aktuelle Stunde
Aktuelle Stunde . 26.09.2024. 19:27 Min.. UT. Verfügbar bis 26.09.2026. WDR. Von Raphael Markert.
Was bringt das neue Bürokratieentlastungsgesetz?
Stand: 26.09.2024, 20:43 Uhr
Der Bundestag hat am Donnerstag ein Paket zum Bürokratieabbau beschlossen. Steuerunterlagen müssen nicht mehr so lange aufbewahrt werden. Kritiker sehen darin ein Geschenk für Steuerhinterzieher.
Eine extra Immobilie für Rechnungen, Belege und weitere Papiere: Aufgrund der Bürokratie in Deutschland sei das für sein Unternehmen nötig, sagt Markus Lüke vom Remscheider Unternehmen Dirostahl. "Diese ganze Bürokratie und Aufbewahrungsfristen binden letztendlich drei Mitarbeiter full time. Das bezahlt mir kein Kunde", sagt Lüke. Es koste ihn Wettbewerbsfähigkeit.
Entlastung soll für Unternehmer wie ihn und Bürger ein neues Gesetz schaffen: Der Bundestag hat am Donnerstag für umfangreiche Maßnahmen zum Bürokratieabbau in der deutschen Wirtschaft gestimmt. Die Ampel-Fraktionen sowie die Union stimmten für das vierte sogenannte Bürokratieentlastungsgesetz, das Wirtschaft und Verwaltung jährlich um rund 944 Millionen Euro entlasten soll. Linke und BSW stimmten dagegen, die AfD enthielt sich.
Steuerliche Belege nur noch acht Jahre aufbewahren
Der wohl wichtigste Punkt: eine kürzere Aufbewahrungsfrist für Rechnungskopien, Kontoauszüge, Lohn- und Gehaltslisten. Unternehmen und Privatleute müssen künftig steuerlich relevante Buchungsbelege nicht mehr zehn, sondern nur noch acht Jahre lang aufbewahren.
Weitere Neuerungen:
- Deutsche müssen im Hotel keinen Meldeschein mehr ausfüllen.
- Arbeitsverträge dürfen auch rein digital ausgestellt werden.
- Digitale Betriebskostenabrechnungen sind möglich.
- Auch Steuerbescheide können papierlos ausgestellt werden.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP)
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach von einer "Trendwende" im "Kampf gegen die Zettelwirtschaft". Die Einsparungen für Wirtschaft und Verwaltung beliefen sich auf knapp eine Milliarde Euro im Jahr. Dagegen hält SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi (SPD) die tatsächliche Entlastung für sehr überschaubar. Schon jetzt würden in vielen Unternehmen Buchungsbelege nur noch digital archiviert, so Schrodi.
Die Entlastung durch eine zwei Jahre kürzere Aufbewahrungsfrist sei so gut wie nicht existent, meint Schrodi. Stattdessen drohten hohe Steuerausfälle, weil eine Prüfung der Unterlagen nach acht Jahren nur noch eingeschränkt möglich sei.
Anne Brorhilker
Auch die ehemalige Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker, heute bei der Nichtregierungsorganisation "Finanzwende" tätig, hatte bis zuletzt davor gewarnt. Ohne Belege gebe es keine Ermittlungen - wenn die Belege weg seien, seien auch die Steuermilliarden weg.
Unternehmen grundsätzlich positiv gestimmt
Dem Ökonom Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft zufolge ist das Gesetz ein eher kleiner Schritt: "Ein bisschen mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein ist es schon, aber auch nicht der große Befreiungsschlag", so Röhl gegenüber dem WDR.
Aber wie kommt das neue Gesetz bei den Unternehmen an? Grundsätzlich positiv, meint Matthias Mainz, Geschäftsführer Wirtschaftspolitik und Digitalisierung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) NRW. Auch er sagt: "Allerdings hätte man viel weiter gehen müssen."
Insgesamt vier Gesetze zum Bürokratieabbau seien in den vergangenen Jahren verabschiedet worden, sagt Matthias Mainz von der IHK NRW. "Wenn man unsere Mitglieder fragt, ist die Belastung durch bürokratische Pflichten aber seitdem nicht geringer geworden. Im Gegenteil, es wird immer mehr."
Das bestätigt auch Markus Lüke von Dirostahl in Remscheid. Die großen Probleme habe das Gesetz nicht gelöst: "Auf uns rollt eine Welle von neuen Gesetzen und Verordnungen zu", sagt er - und nennt etwa die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach ESG-Kriterien, das Energiesicherungsgesetz und Verordnungen der EU im Bereich der IT-Sicherheit. Alle machen sie mehr Arbeit, sagt er.
Fokus auf Digitalisierung
Was wirklich helfen würde, wäre ein echter Fokus auf Digitalisierung, sagt Mainz weiter. Immer noch müssten viel zu viele Dokumente in Papierform vorliegen, obwohl eine digitale Version leichter angelegt und archiviert werden könne. "Was ich persönlich vermisse, ist dass aus dem Bemühen, Bürokratie abzubauen, noch kein Standardprozess geworden ist."
Es dauere immer noch sehr lange, bis relativ kleine Änderungen bei den Verwaltungsabläufen wirklich umgesetzt werden, so Mainz. "In dieser Zeit kommen dann regelmäßig neue Berichts- und Dokumentationspflichten, die den Arbeitsaufwand insgesamt wieder erhöhen."
Auch Markus Lutze, Hauptgeschäftsführer des Hotelverbands Deutschland kritisiert, dass das System nicht komplett digital sei. Ausländische Gäste müssten nach wie vor die Zettel ausfüllen - durch Nachfragen könnte es zu mehr Stress an den Rezeptionen kommen.
"Unsere Idealvorstellung wäre ein komplett digitales Verfahren gewesen, wo man sehr einfach mit seinem Handy seine Daten auslesen kann, sie an das Hotel überträgt und freigibt." Aber dieses System sei nicht an den Start gekommen - obwohl unsere Nachbarländer es hätten.
Unsere Quellen:
- Deutsche Presse Agentur
- Agentur Reuters
- tagesschau.de
- Interview mit Matthias Mainz
- Bundesjustizministerium
- WDR-Interview mit Markus Lutze, Hauptgeschäftsführer des Hotelverbands Deutschland
- WDR-Interview mit ehemaliger Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker