Ein Jahr nach dem Tod von Luise

Aktuelle Stunde 11.03.2024 02:34 Min. UT Verfügbar bis 11.03.2026 WDR Von Matthias Heise

Mord an Luise: "Wunden können heilen, Narben werden bleiben"

Stand: 11.03.2024, 06:00 Uhr

Ein Jahr ist es her, dass zwei Mädchen die 12-jährige Luise aus Freudenberg getötet haben. Der Ort stand unter Schock. Im WDR-Interview erklärt der evangelische Pastor Thomas Ijewski, wie er ein Jahr später auf die Tragödie blickt.

Der Todestag von Luise aus Freudenberg jährt sich zum ersten Mal. Sie war am 11. März 2023 vermisst gemeldet und mit großem Aufwand gesucht worden. Einen Tag später wurde eine Leiche gefunden, noch einen weiteren Tag später stand fest: Es ist Luise.

Dann präsentieren die Ermittler schockierende Ergebnisse: Zwei Mädchen aus Luises Klasse haben gestanden, ihre Freundin getötet zu haben. Pastor Thomas Ijewski hat Freudenberg das ganze Jahr lang bei der Aufarbeitung begleitet.

WDR: Ein Jahr nach dem Tod von Luise. Was hat sich für Sie in diesem Jahr verändert?

Pastor Thomas Ijewski in der Kirche

Pastor Thomas Ijewski in der Kirche

Thomas Ijewski: Es ist ein kleines bisschen Normalität in unsere Gemeinde eingekehrt. Trotzdem ist die Erinnerung an das Geschehen noch relativ präsent. Wir werden immer mal wieder darauf angesprochen. In Gesprächen denken wir an Luise. Und jetzt zum Jahrestag wird uns das noch manches Mal begegnen. Aber gleichzeitig ist mir auch wichtig, dass wir zurück ins Leben finden. Dass wir fröhliche Feste feiern, Hochzeiten, auf denen wir tanzen können. Uns über Geburten von Kindern freuen und Jugendliche heranwachsen sehen. Das brauchen wir für unsere seelische Gesundheit. Wunden können heilen, aber es werden Narben bleiben.

WDR: Wie lange haben die Ereignisse die Freudenberger beschäftigt?

Ein Stein am Erinnerungsort mit einem aufgemalten Regenbogen und der Aufschrift "du tanzt nun auf dem Regenbogen Luise"

Ein Stein am Erinnerungsort für Luise

Thomas Ijewski: Es hat sie lange beschäftigt. Es beschäftigt sie immer noch. Ich glaube: Wir, die wir diese schrecklichen Ereignisse so nah miterlebt haben, werden unser Leben lang daran denken. Es gab eben auch viele, denen es deutlich wurde, wie sehr wir als Kirche da unterstützen konnten. Es waren Notfallseelsorger hier in der Kirche als Gesprächspartner für die Menschen, die sich in der Kirche in ein Kondolenzbuch eingetragen haben. Es war der Schulpfarrer am Montagmorgen um 8 Uhr in der Schule. Es gab Gespräche mit den Feuerwehrleuten. Ein Debriefing (Nachbereitung, Anm. d. Red.) hat stattgefunden. Es gab so viele Unterstützungen und ich hab den Eindruck, dass viele Menschen das auch wahrgenommen haben, wenn Kirche nah bei den Menschen ist. Denn das ist unser Auftrag.

Das Grab von Luise ist eine Art Wallfahrtsort geworden. Thomas Ijewski
Evangelischer Pastor in Freudenberg

WDR: Sie haben die Familie von Luise eng begleitet und sagen: Privates soll privat bleiben. Wie sehr halten sich die Leute daran?

Thomas Ijewski: Das Grab von Luise ist eine Art Wallfahrtsort geworden, wo Menschen aus allen Teilen der Republik hingehen und dort Blumen, Karten und Stofftiere hinterlegen. Die Familie hat mich ausdrücklich gebeten darauf hinzuweisen, dass dieses Grab ein privater, ein geschützter Ort sein soll. Und alles, was noch so lieb gemeint ist, hilft dann der Familie von Luise überhaupt nicht! Und deswegen ist die Bitte das Grab nicht mit irgendwelchen mitgebrachten Dingen auszustatten, sondern es so zu lassen, wie es sich die Familie vorstellt.

Pastor Thomas Ijewski auf der Pressekonferenz

Thomas Ijewski auf der Pressekonferenz zum Jahrestag

Und dazu kommt noch: nicht wenige Menschen aus allen Teilen der Republik haben mit mir Kontakt aufgenommen und gesagt, sie wollen nach Freudenberg kommen. Und kamen in den letzten Monaten auch – manchmal über einen längeren Zeitraum, um Luise nahe zu sein. Und oft habe ich den Eindruck gewonnen, dass diese Menschen professionelle Hilfe brauchen. Und ich möchte an alle, die vielleicht noch überlegen nach Freudenberg zu reisen, den Appell richten: Bleiben Sie da, wo sie Menschen in ihrem Umfeld haben, mit denen sie vertrauensvoll reden können. Suchen Sie sich gegebenenfalls professionelle Hilfe. Investieren Sie Ihre Zeit und Ihre Energie, Jugendlichen vor Ort zu helfen. Aber kommen Sie nicht nach Freudenberg. Die Trauer um Luise soll nicht der Mittelpunkt Ihres persönlichen Lebens bleiben.

WDR: Sie sind gegen eine Gedenkstätte in Freudenberg?

Thomas Ijewski: Ich finde persönlich, dass wir die Ereignisse und diese schreckliche Tat nicht in Stein meißeln sollten. Viel besser wäre es die Erinnerung an Luise in unseren Herzen zu behalten.

Das Interview führte WDR-Reporter Matthias Heise.

Über dieses Thema berichten wir am 11.03.2024 im WDR Fernsehen: Lokalzeit Südwestfalen, 19:30 Uhr.