Der Fall Freudenberg: Wenn Kinder zu Tätern werden

Stand: 15.03.2023, 19:26 Uhr

Der Tod von Luise aus Freudenberg hinterlässt eine große Ratlosigkeit. Viele Fragen bleiben. Eine lautet: Was macht Kinder zu Gewalttätern? Eine Spurensuche.

Von Christian Wolf

Es kommt nicht häufig vor, dass Kriminalfälle auch Tage später noch die Menschen beschäftigen. Der Fall von Luise aus Freudenberg gehört definitiv dazu. Denn wenn ein zwölf Jahre altes Kind erstochen wird und zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren die Tat zugeben, hinterlässt das eine große Ratlosigkeit. Wie kann es sein, dass Kinder in solch jungen Jahren zu Tätern werden?

Andere Auslöser als bei Erwachsenen

Selbst erfahrene Experten beschäftigt der Fall der getöteten Luise. So sagte Kriminalpsychologe Rudolf Egg im SWR-Radio: "Ich habe mit sehr vielen Fällen zu tun gehabt. Aber es gibt dann doch immer wieder Fälle, die einen überraschen. Wo man sagt, gibt es denn so etwas auch? Und das ist so ein Fall." Bei Kindern gebe es andere Dinge, die solch eine Tat auslösen als bei Erwachsenen. "Da geht es nicht um Geld, Liebe und Sexualität, sondern um Eifersüchteleien. Um das, was Kinder sowieso in dem Alter irgendwie bewegt, worüber sie streiten können, worüber sie sich uneins sind."

Freudenberg und die Folgen

WDR 2 Das Thema 15.03.2023 03:02 Min. Verfügbar bis 14.03.2027 WDR 2


Download

Prof. Dr. Rudolf Egg, Experte für Kriminalitätsphänomene

Kriminalpsychologe Rudolf Egg

Der langjährige Direktor der Kriminologischen Zentralstelle des Bundes und der Länder nimmt an, dass es in Freudenberg auch einen solchen Konflikt zwischen den Mädchen gegeben habe. "Also das, was man alltäglich auf Schulhöfen beobachten kann, würde ich vermuten, spielte auch hier eine gewisse Rolle. Streitigkeiten unter bekannten Kindern, unter Mädchen, die sich da nicht immer einig sind. Dass es dann so extrem wurde, ist zwar etwas Seltenes, aber leider etwas, was doch vorkommen kann."

Birgit Köppe-Gaisendrees kennt sich mit Kindern aus, die zu Tätern werden. Sie leitet die Ärztliche Kinderschutzambulanz in Remscheid, in der Kinder mit Gewalterfahrungen betreut werden - Opfer wie Täter. Im WDR-Interview sagte sie, das es verschiedene Faktoren gebe. So spielten Belastungen im Leben durch Trennungen, Verluste und Erkrankungen eine Rolle sowie möglicher Medienmissbrauch. Klar sei aber: Nicht jedes Kind, das Gewalt erlebe, übe dann auch selbst Gewalt aus.

Studien könnten helfen

Im WDR-Interview regte Kriminalpsychologe Egg spezielle Studien an, die helfen sollen, die genauen Hintergründe zu klären. "Über diesen einzelnen Fall hinausgehend kann es natürlich schon sein, dass es Trends gibt, die man nicht einfach so bei Seite schieben kann."

Denn grundsätzlich weist der Kriminalpsychologe darauf hin, dass sich die Umgebung für Kinder geändert hat. "Denn die Möglichkeiten, wie sich Kinder und Jugendliche bewegen, haben sich in den letzten 50 oder 60 Jahren schon verändert. Das sind zum Teil positive Entwicklungen, dass sie mehr Freiheiten und Rechte haben, mehr tun können und dürfen. Aber es sind dann halt auch negative Entwicklungen, dass sie in Streitigkeiten zum Messer greifen und gewalttätig werden."

Auseinandersetzungen enden öfter mit Gewalt

Andreas Müller, Landrat vom Kreis Siegen-Wittgenstein

Landrat Andreas Müller

Ähnliche Beobachtungen macht auch der Landrat vom Kreis Siegen-Wittgenstein, Andreas Müller. Mit Blick auf die Tat von Freudenberg sagt er: "Das ist zum Glück nach wie vor ein Einzelfall, aber insgesamt stellen wir schon fest, dass Auseinandersetzungen auch im sehr jungen Alter immer öfter in Gewalt münden und eben nicht im Dialog gelöst werden." Die Folge sei, dass Präventionsarbeit in Kindergärten und Schulen wichtiger werde.

Rückfälle nicht ausgeschlossen

Birgit Köppe-Gaisenrees, Leiterin der Ärztlichen Kinderschutzambulanz in Remscheid

Birgit Köppe-Gaisenrees

Doch wie lässt sich verhindern, dass sich solche Taten wiederholen? Köppe-Gaisenrees sagt, dass Rückfälle nicht ganz verhindert werden könnten. "Eine sichere Prognose kann man nicht geben. Schützende Faktoren sind sichere Beziehungen zu Eltern, zur Familie, zu Freundeskreisen. Und eine gewisse Offenheit. Es muss natürlich auch darum gehen, dass professionelle Menschen es schaffen, mit einem Kind so weit in eine Beziehung zu kommen, dass wir das, was passiert ist, überhaupt thematisieren können."

Weitere Themen