Kinderverschickung am Beispiel Bad Sassendorf

Lokalzeit Südwestfalen 09.04.2024 03:05 Min. Verfügbar bis 09.04.2026 WDR Von Elisabeth Konstantinidis

Erstes Denkmal für ehemalige Verschickungskinder

Stand: 09.04.2024, 20:32 Uhr

In den 1950er bis 1990er Jahren wurden Millionen von Kindern aus NRW in sogenannte Kinderkuren verschickt. In Bad Sassendorf gibt es jetzt das erste Denkmal in NRW, das an ihre Leiden erinnern soll.

Manche Kinder waren erst drei Jahre alt, als ihre Eltern sie zum Bus oder zum Zug gebracht haben. Eigentlich sollte der Kuraufenthalt die Gesundheit der Kinder verbessern. Sie hatten chronische Atemwegserkrankungen oder waren untergewichtig. Aber statt gesund kamen viele traumatisiert nach Hause. Betroffene berichten unter anderem, dass sie geschlagen wurden, unter Zwang essen mussten, nachts nicht auf die Toilette durften und es gab auch sexuelle Übergriffe.

"Wundmal" steht im Kurpark

Das Wundmal in Bad Sassendorf

Der Gedenkstein "Wundmal" im Kurpark von Bad Sassendorf

Bad Sassendorf im Kreis Soest war, nach jetzigem Forschungsstand, der größte Kinderkurort in Nordrhein-Westfalen. Genau hier steht seit heute das erste offizielle Denkmal in NRW. Es soll an die leidvolle Geschichte vieler Verschickungskinder erinnern. Geschaffen wurde es von der Künstlerin Heike Fischer-Nagel. Sie war selber ein Verschickungskind.

Traumatisierender Kuraufenthalt

In der meist sechs Wochen dauernden Kur ohne Eltern wurden viele Kinder gequält. Erst Jahrzehnte später fangen viele an, von ihren Erlebnissen zu erzählen. Betroffene berichten zum Beispiel, dass sie zum Essen gezwungen wurden. Diejenigen, die sich weigerten, wurden mit dem Kopf ins Essen gedrückt wurden. Wenn sie sich übergeben haben, mussten sogar ihr Erbrochenes essen. Moor- und Solebäder waren oft so heiß, dass sich die Kinder Verbrennungen zuzogen.

In der Nacht herrschte striktes Toilettenverbot. Wer das nicht aushielt, wurde in einen dunklen Lagerraum gesperrt oder musste stundenlang mit nackten Füßen in der Ecke stehen. Den Betreuerinnen soll es egal gewesen sein, dass dabei Extremente an den Beinen herunterflossen.

Für mich war es der blanke Horror. Ich war elf Jahre alt zu dem Zeitpunkt der Verschickung, habe somit alles bewusst mitbekommen. Petra Schiemann
Postkarten und Fotos von den Betroffenen

"Unsere Schlafräume sahen aus wie in der Pathologie, wie in einer Leichenhalle. Man lag da und durfte sich nicht bewegen. Und auch nicht reden. Danach durfte man auch nicht mehr auf Toilette gehen. Was am schlimmsten war - wir mussten nackt rumlaufen. Als Grund haben Sie die Höhensonne angegeben. Es war unmenschlich, menschenverachtend."

Sexuelle Gewalt an Kindern

Für das Haus Hamburg in Bad Sassendorf bestätigt die DAK, dass Betreuungspersonal sogar sexuelle Gewalt gegen Kinder ausübte. In anderen Kuren wurden Kinder zwangsernährt, erlitten körperliche und psychische Gewalt und bekamen ohne Diagnose Beruhigungsmittel und Psychopharmaka.

Ich wurde gezwungen, grünen Salat zu essen. Als ich es nicht wollte, haben Sie mich mit drei Personen festgehalten. Stephanie Wagener

Aufarbeitung notwendig

Postkarten und Fotos von den Betroffenen

Um dieses dunkle Kapitel der NRW-Geschichte aufzuarbeiten wurde 2021 der Verein "Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW e.V." gegründet. Ziel des Vereins ist es die NRW-Verschickungsgeschichte aufzuarbeiten und den Betroffenen zur Seite zu stehen. Er bietet auch psychologische Beratung an und setzt sich politisch für die Opfer ein. Damit über ihr Schicksal nicht weiter geschwiegen wird.

Erstes Denkmal für ehemalige Verschickungskinder

WDR Studios NRW 09.04.2024 00:52 Min. Verfügbar bis 09.04.2026 WDR Online