Wohnungsnot trotz Leerstand in Großstädten

Bielefeld will Baulücken schließen gegen Wohnungsnot

Stand: 30.05.2023, 06:00 Uhr

Bundesweit fehlen laut Pestel-Institut 700.000 Wohnungen. 400.000 will der Bund in vier Jahren bauen. Gleichzeitig liegen unzählige Baulücken brach und hunderttausende Wohnungen stehen leer. Bielefeld will das ändern.

Von Uwe Pollmann

Ein Mehrfamilienhaus im Bielefelder Osten ist seit langem Ärgernis für Nachbarn. In den Fenstern hängen Gardinen, aber Eingang und Vorgarten sind zugewachsen. Auf den Klingelschildern stehen Namen, doch niemand öffnet. Der Eigentümer ist vor Monaten verstorben, sagt Marianne Rabbeau von der Heide. Aber auch davor wohnte nur er hier. "Er wollte keine Mitbewohner haben, hat allen gekündigt."

Häuser, die bis zu 20 Jahre leer stehen 

20 Jahre habe der Mann allein in einem Haus für vielleicht drei oder vier Familien gewohnt, so die Nachbarin: "Es waren auch immer sehr viele Leute hier, die nach diesem Haus gefragt haben. Auch Interessierte, die es gern gekauft hätten." Aber sie gingen leer aus.

Etwas weiter steht ein weiteres verwaistes Gebäude. Anwohner Saylam Caglayan versteht das nicht: "Das ganze Haus hier ist schon seit über einem Jahr komplett leer", kritisiert der Familienvater: "Die Stadt müsste doch was unternehmen." Gerade viele junge Familien würden doch Wohnraum suchen.

Umweltschützer sammeln über 300 Leerstände

Wohnungsnot trotz Leerstand in Großstädten

Dokumentation der Leerstände

Seit drei Jahren sammelt der Bielefelder Umweltverein "pro grün" solche Leerstände und veröffentlicht sie anonymisiert auf einer Homepage. Mehr als 300 leere Häuser und Baulücken haben Bürger dort gemeldet, sagt Vereinssprecher Martin Enderle: "Wobei wir nur solche Leerstände gemeldet bekommen haben, wo ein gesamtes Haus leer steht. Es gibt wahrscheinlich eine viel höhere Anzahl von Wohnungen, die in ansonsten bewohnten Häusern leer stehen." Und das überall in der Stadt. 

Die Umweltschützer wollen anprangern, dass viele Häuser leer stehen, während gleichzeitig auf Naturflächen Wohnungen gebaut werden. Bielefeld müsse handeln, etwa mit einer Wohnraumschutzsatzung. Die gibt es in Bonn, Köln oder Münster. Hauseigentümer dort müssen Leerstände im ersten halben Jahr melden und diese begründen, sonst drohen Strafen. 

Zweckentfremdung – Geldbuße bis 500.000 Euro

"Eine ungenehmigte Zweckentfremdung von Wohnraum stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann", heißt es in Münster. Auch Dortmund und Aachen haben solche Satzungen. Die Stadt Aachen teilt sogar mit: durch die Androhung von Strafen habe man "bereits mehrere Wohnungen wieder dem allgemeinen Wohnungsmarkt zuführen können."

Wohnungsnot trotz Leerstand in Großstädten

Eine Baulücke in Bielefeld

Bielefeld geht einen anderen Weg. Die Stadt will zunächst Baulücken in den Fokus nehmen. Auch die gibt es zuhauf. Leerstandsmanagerin Lena Goldstein erstellt derzeit ein Kataster aller Lücken und schaut, wo eine Bebauung sinnvoll wäre. Dann wolle man jetzt im Rahmen des Baulückenmanagements nochmal aktiv auf die Eigentümer zugehen "und diese beraten hinsichtlich der Bebauungsmöglichkeiten, was möglich ist auf der Fläche, welche Nutzungen zulässig" seien. Bei allen Hemmnissen helfe die Stadt gern.

Eigentümer machen auch schlechte Erfahrungen

Wohnungsleerstände aber hat die Stadt nicht im Blick. Die Leerstandsquote liege bei 0,3 Prozent. Wohl eher Einzelfälle. Ähnlich sieht das "Haus und Grund" in Bielefeld. Gehe ein Haus an eine Erbengemeinschaft, würden diese sich mitunter streiten und die Immobilie leer stehen lassen, sagt Geschäftsführerin Daniela Niermann. "Zum Zweiten sind es schlechte Erfahrungen mit Mietern." Ältere Eigentümer seien "nervlich nicht mehr dazu imstande, sich mit Mietern auseinander zu setzen."

Die Umweltschützer von Pro Grün halten Leerstände nicht für Einzelfälle. Sie wollen aber auch die Eigentümer nicht per se an den Pranger stellen, so Martin Enderle. Sondern fordern, dass die Kommunen den Eigentümern bei der Neuvermietung helfen. Beispiel dafür seien Stadt und Landkreis Hof in Bayern. Dort gebe es von der Kommune "Erstberatungsgutscheine" als Hilfe für die Eigentümer.