Eine Hand übergibt einer anderen Hand ein Rezept, wie man es in einer Praxis bekommt.

Streit um Diamorphin-Angebot in Bielefeld

Stand: 08.08.2022, 19:37 Uhr

Diamorphin ist reines Heroin, das seit 2009 als Suchtbehandlung, bezahlt von der Kasse, an schwerst Drogenabhängige verabreicht werden darf. Bundesweit gibt es bisher nur wenige ärztliche Diamorphin-Ambulanzen. Jetzt soll eine in Bielefeld eröffnet werden. Aber darüber gibt es Streit.

Von Uwe Pollmann

Anne kommt fast täglich ins Drogenhilfezentrum Bielefeld, wie rund 200 andere Drogensüchtige. Sie lassen sich beraten, ärztlich untersuchen, rauchen und spritzen unter Aufsicht mitgebrachte Drogen oder erhalten Ersatzstoffe wie Methadon. Seit 20 Jahren ist Anne abhängig von harten Drogen: „Irgendwann fällt alles weg, weil man einfach keine Zeit mehr hat und sich den ganzen Tag nur um seine Sucht kümmern muss.“

Vielen Drogensüchtigen könnte „reines Heroin“ von Ärzten helfen

Mehrmals hat die 39-Jährige Therapien mit Ersatzstoffen gemacht, war kurze Zeit „clean“, dann wieder abhängig, hat ein ständiges Hin und Her erlebt. Die neue Therapie mit Diamorphin wäre vielleicht ein Ausweg, sagt sie, denn viele Süchtige betteln, werden kriminell, kaufen selbst bei Methadontherapien noch unreine Stoffe: „Im Idealfall bringt Diamorphin dann Stabilität.“

Bis zu 70 Süchtigen in Bielefeld könnte das helfen, „die mit den normalen Substitutionsmitteln nicht klarkommen und ein anderes brauchen“, sagt Michael Wiese, Leiter des Drogenhilfezentrums. „Für die, da gibt’s auch eine große Studie,– sagt man, ist die Diamorphin-Vergabe ein adäquates Mittel, um ihren Zustand zu verbessern.“ Sie müssten, so Wiese, 23 Jahre alt und mindestens fünf Jahre abhängig sein sowie unter schweren körperlichen und psychischen Störungen leiden und zwei erfolglose Behandlungen hinter sich haben.

Drogenhilfezentrum können Therapie nicht anbieten

Unter den rund 100.000 Heroinabhängigen in Deutschland könnte das mehreren tausend helfen. Die Mehrheit wird substituiert, erhält Ersatzstoffe wie Methadon. Aber viele erfahren Rückschläge, kommen nicht vom Straßenheroin los. Und: Methadon hat starke Nebenwirkungen. Schwerstabhängigen könnte eine Diamorphin-Abgabe durch Ärzte helfen.

Angeboten wird das im Drogenhilfezentrum nicht. Aufwand und Kosten sind hoch, sagt Wiese. Viele Sicherheitsvorkehrungen sind nötig wie Panzerglas, Stahlbetonwände, teure Tresore oder Kameras. „Bislang waren andere Themen für uns einfach wichtiger, weil wir nicht alles bedienen können.“

Wenige Diamorphin-Praxen – und oft Protest dagegen

Doch nun plant der Düsseldorfer Arzt Christian Plattner mit einer Kollegin neben dem Bielefelder Bahnhof eine Diamorphin-Praxis mit Behandlungs- und Aufenthaltsräumen. Und mit Ansprechpersonen, „die sich neben der medizinischen Behandlung um die anderen Problemfelder im Leben kümmern“. Bis zu 300 Patientinnen und Patienten auch aus der Umgebung können ein bis drei Mal täglich Diamorphin erhalten.

Das sehen viele Politikerinnen und Politiker kritisch. Auch Sozialdezernent Ingo Nürnberger: „Es würden viele suchtkranke Menschen aus anderen Kommunen hier in OWL nach Bielefeld kommen. Und das halte ich fachlich für ein Problem. Aber es würde auch zum Problem sicher für Stadt und Stadtgesellschaft werden.“ Nürnberger fordert, dass es mehr Angebote woanders geben muss.

Aber dafür gibt es bisher kaum eine Chance, sagt Christine Kluge-Haberkorn vom Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit. Die gesetzlichen Hürden für die Einrichtung einer solchen Ambulanz seien hoch und mit vielen Investitionen verbunden. Es sei „fast nicht möglich, in jedem kleinen Ort eine Ambulanz einzurichten“. Es gebe derzeit kaum Ärzte, die das wagten. Aber die wenigen Einrichtungen, die es bundesweit gebe, seien trotz erster Proteste akzeptiert.

Bielefeld fordert kleinere Diamorphin-Praxis

Auch Christian Plattner hat diese Erfahrungen mit seinen bisherigen Diamorphin-Praxen in Düsseldorf, Wuppertal oder Unna gemacht. Die Skepsis von Kritikern sei „unbegründet“ gewesen. Eine neue Praxis in Iserlohn habe sogar überraschend positive Folgen. Stadt und Polizei hätten keine Beeinträchtigung oder Klage gehört. Es sei sogar von einem „Rückgang der Kleinkriminalität“ die Rede.

Dennoch hält der Bielefelder Sozialdezernent Ingo Nürnberger kleinere Praxen auch in vielen Städten für das bessere Angebot: „Ich finde, Land und Bund, aber insbesondere der Bund, müssen wirklich nochmal über die Regeln für die Diamorphin-Vergabe nachdenken, für Verschreibungsmöglichkeiten, für die Anforderungen an die Praxen.“ Das allerdings sieht auch Christian Plattner so.

Über das Thema berichtet der WDR am 09.08.2022 in der Lokalzeit OWL im WDR Fernsehen und im Radio auf WDR 2.