Er zahlte seine Zivilcourage mit seinem Leben. Bei dem Messerangriff in Aschaffenburg ist am Mittwoch auch ein 41 Jahre alter Passant gestorben. Er war mutig dazwischen gegangen, als ein 28-jähriger Afghane mit einem Küchenmesser auf Kinder einer Kindergartengruppe einstach. Bei dem Angriff durch den Afghanen, der in psychiatrischer Behandlung gewesen sein soll, starb ein zweijähriger Junge marokkanischer Abstammung. Weitere Menschen wurden verletzt, teils schwer.
Kinder vor dem Tod bewahrt - und dabei selbst gestorben
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagt, dass durch das mutige Einschreiten des Passanten "weitere Kinder vor dem Tod bewahrt" wurden. Der Fall zeigt, wie gefährlich es ist, wenn Messer im Spiel sind - auch sind die Menschen in Aschaffenburg nicht die ersten, die durch Messerattacken unschuldig ums Leben kamen.
Im Jahr 2023 registrierte die Polizei in NRW 3.536 Angriffe mit Messern im öffentlichen Raum, deutlich mehr als im Jahr davor. 2024 dann erschütterten erst ein Terroranschlag mit einem Messer in Solingen, dann Messer-Angriffe in Moers, Recklinghausen und Siegen das Land.
Wer über solche Fälle liest, fragt sich vielleicht auch: Was hätte ich getan in so einer Situation? Wäre ich auch dazwischen gegangen? Wie gefährlich ist das? Und: Wie reagiert man besonnen bei einem Messerangriff? Nach dem Messerangriff von Solingen haben wir darüber mit Experten gesprochen. Hier sind ihre Tipps - und ihre Warnungen.
Die Polizei warnt vor schweren und tödlichen Verletzungen
Selbst kleine Messer können "schwere Verletzungen hervorrufen oder im schlimmsten Fall sogar tödlich sein", warnt die Polizei NRW. Auch Stich- oder Schnittverletzungen an Armen oder Beinen könnten innerhalb kürzester Zeit lebensbedrohlich werden.
Das empfiehlt die Polizei
Die Polizei NRW gibt Tipps, wie Menschen sich verhalten sollten, wenn sie mit einem Messer bedroht werden. Das sind die wichtigsten Hinweise:
- Flüchten - auf keinen Fall die Konfrontation suchen
- So schnell wie möglich den Notruf wählen, also 110.
- Zeugen einer Messerattacke rät die Polizei: "Bringen Sie sich nicht selbst in Gefahr, halten Sie Distanz und wählen Sie umgehend den Notruf 110." Schnelle Hilfe "kann lebenswichtig sein".
Sich zu schützen ist bei einem Messerangriff auch deshalb schwierig, weil in solchen Situationen in der Regel alles sehr schnell geht. "Wenn unauffällige, aber psychisch gestörte Menschen plötzlich ein Messer zücken, kann das kaum vorhergesehen werden", sagt die Gewerkschaft der Polizei. Täter suchten sich ihre Opfer mitunter wahllos aus.
Messer oder Pfeffersprays bieten keine Sicherheit
Manche Menschen fühlen sich sicherer, wenn sie eine Waffe, beispielsweise ein Messer oder Pfefferspray, mit sich tragen. Doch dieses Sicherheitsgefühl sei ein Trugschluss, heißt es auf der Website der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes. Waffen könnten die eigene Risikobereitschaft erhöhen und führten zur Eskalation weiterer Gewalt. Auch könnten Waffen von Angreifern abgenommen und gegen den Träger verwendet werden.
Das rät ein erfahrener Kampfkunstlehrer
Thommy Luke Böhlig aus Langenfeld ist Kampfkünstler, betreibt eine Wing-Tsjun-Schule mit vielen Standorten in NRW und auch im Ausland. Er schult aber zum Beispiel auch Polizisten, Justiz-Vollzugsbeamte und Mitarbeitende von Ordnungsämtern. Wie die Polizei NRW sagt auch Böhlig:
Bei einem Messerangriff sei es immer das Ziel, sich sicher und so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu entfernen.
Thommy Luke Böhlig
Falls eine Flucht nicht sofort möglich ist, rät Kampfsportlehrer Böhlig: "Suchen Sie nach Möglichkeiten, sich zu schützen, indem Sie Objekte wie Möbel oder andere Hindernisse zwischen sich und den Angreifer bringen." An einem Ort wie auf dem Stadtfest ist das natürlich nicht möglich, in anderen Situationen aber vielleicht schon.
In Böhligs Trainings spielen auch Deeskalation und Kommunikation eine Rolle. Der Kampftrainer empfiehlt unter anderem:
- Ruhig bleiben: "Versuchen Sie, Ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten." Panik könne die Situation verschlimmern.
- Verbale Deeskalation: "Sprechen Sie ruhig und respektvoll mit dem Angreifer. Versuchen Sie ihn zu beruhigen und geben Sie ihm keinen Grund, die Situation weiter eskalieren zu lassen."
Körperliche Konfrontation als letzter Ausweg
Eine körperliche Konfrontation sei immer der letzte Ausweg und mit Gefahren verbunden. Selbst Profis, wie etwa Polizisten oder erfahrene Kampfsportler gingen davon aus, dass sie aus so einer Situation nicht unbeschadet herauskommen.
Je nach Situation könne es noch eine Chance sein, einen Angreifer zu verwirren, etwa in dem man Dinge sage wie "Erdbeertörtchen" oder "Ich muss aufs Klo", um die Sekunden der Verwirrung dann zur Flucht zu nutzen. Ein Attentäter, der im Tunnel ist, reagiere darauf aber vermutlich nicht mehr. Bei anderen könne das helfen - etwa wenn der Situation ein Gespräch vorausgegangen ist.
Bei Angriff singen? Polizei Berlin warnt vor Missverständnis
In sozialen Medien kursiert seit einigen Tagen in Zusammenhang mit den jüngsten Messerangriffen ein Screenshot der Website der Polizei Berlin. Zu sehen ist ein Ausschnitt aus einem Text, indem die Behörde empfiehlt, im Falle eines Angriffs, den Täter oder die Täterin durch unerwartetes Verhalten, zum Beispiel Singen, zu irritieren.
In einem aktuellen X-Post weist die Polizei aber darauf hin, dieser Hinweis sei nicht mehr Teil der "polizeilichen Erfahrungswerten und ist daher schon seit 2023 nicht mehr Teil unserer Empfehlungen". Gerade bei terroristische Anschlägen sei "Gesundheit und Leben zu schützen oberstes Gebot".
Unsere Quellen:
- Polizei NRW: Gefahr durch Messer-Angriffe
- Polizei Berlin: Website und Online-Dienst X
- Gewerkschaft der Polizei: Website Polizei dein Partner
- Gespräch mit Trainer Thommy Luke Böhlig von Wing Tsjun International im August 2024
- Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes: Gewalt unterwegs -Verhaltenstipps bei Angriffen