Die wahren Kosten von Lebensmitteln
Aktuelle Stunde. 31.07.2023. 28:18 Min.. UT. Verfügbar bis 31.07.2025. WDR. Von Alexander Klein.
Experiment bei Penny: Was hinter den "wahren Preisen" bei Lebensmitteln steckt
Stand: 31.07.2023, 19:00 Uhr
Wissenschaftler haben berechnet, dass viele Lebensmittel deutlich teurer sein müssten. Grund sind versteckte Umweltkosten. Bei neun Produkten testet die Supermarktkette Penny jetzt die "wahren Preise".
Wiener Würstchen kosten bei der Supermarktkette Penny seit Montag plötzlich 6,01 Euro statt 3,19 Euro. Der Preis für Mozzarella erhöht sich von 89 Cent auf 1,55 Euro und für Fruchtjoghurt sind 1,56 Euro statt 1,19 Euro fällig. Was dahinter steckt: Bei den höheren Preisen handelt es sich um die "wahren Preise".
Wissenschaftler der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald haben sie berechnet, indem sie neben den üblichen Herstellungskosten auch die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit in die Preiskalkulation einbezogen haben.
Ob Verbraucher diese höheren Preise akzeptieren? "Wir erwarte einen Umsatzrückgang im einstelligen Millionen-Bereich", sagte Penny-Vorstand Stefan Görgens. Und trotzdem. Bis einschließlich Samstag werden für neun Produkte die "wahren Preise" berechnet. An der Aktionswoche nehmen alle 2.150 Filialen in Deutschland teil. Die Mehreinnahmen will die Rewe-Gruppe für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum spenden.
Umweltkosten als Aufschlag
Die Idee: Wer etwa Kartoffeln oder Würstchen kauft, bezahlt beim "wahren Preis" nicht nur für das jeweilige Produkt. Zusätzlich fallen noch weitere Kosten an, die die Gesellschaft mitträgt. Dazu zählen etwa Folgeschäden an der Umwelt, wenn es bei der Lebensmittel-Produktion zu hohen Emissionen kommt. Zudem fließen auch Gesundheitskosten in die Preiskalkulation ein, etwa als Folge von schlechten Arbeitsbedingungen.
Versteckte Kosten fallen der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last
"Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir so tun, als hätte die heutige Lebensmittelproduktion keine versteckten Umweltfolgekosten", sagt Amelie Michalke, die an der Universität Greifswald die ökologischen und sozialen Effekte der landwirtschaftlichen Produktion untersucht. Diese Kosten spiegelten sich zwar nicht im Ladenpreis wider, doch fielen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last.
Ein Beispiel: Eine 300-Gramm-Packung Maasdamer Käse würde sich nach Angaben der Wissenschaftler um 94 Prozent von 2,49 auf 4,84 Euro verteuern. Die versteckten Kosten belaufen sich also auf rund 2,35 Euro:
- Allein 85 Cent für klimaschädliche Emissionen der Landwirtschaft wie Methan oder CO2.
- Außerdem 76 Cent für die Bodenbelastungen durch die intensive Landwirtschaft zur Futterproduktion.
- Weitere 63 Cent für die Auswirkungen des Pestizideinsatzes und anderer Faktoren auf die Gesundheit der Landwirte.
- Und noch einmal etwas mehr als 10 Cent für die Belastung des Grundwassers etwa durch Düngemittel.
Preisaufschlag bei Fleisch am höchsten
Doch ist der Preisaufschlag durch Einbeziehung der versteckten Umweltkosten nicht überall gleich. Deutlich geringer als bei Wiener Würstchen oder Joghurt fällt die Steigerung mit nur 5 Prozent bei einem veganen Schnitzel aus.
Generell sei der notwendige Aufschlag bei rein pflanzlichen Produkten wegen der geringeren Umweltbelastung am niedrigsten, berichtet der Umweltökonom Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg, der das Projekt begleitet. Deutlich höher sei er bei Milchprodukten und am höchsten bei Fleisch.
Auch eine Studie der Universität Oxford kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Preise für Fleisch bei Berücksichtigung der Treibhausgasemissionen und anderer Umweltschäden deutlich höher sein müssten.
"Wahre Preise" bei Penny - um welche neun Produkte geht es?
Für das Experiment haben die Wissenschaftler und Penny folgende Produkte ausgewählt:
- Fruchtjoghurt (Bio)
- Käsescheiben (Bio)
- Mozzarella (Bio)
- Würstchen ( Bio)
- Fruchtjoghurt (Konventionelle Produktion)
- Maasdamer ( Konventionelle Produktion)
- Mozzarella (Konventionelle Produktion)
- Wiener (Konventionelle Produktion)
- Schnitzel (Vegan)
Was ist, wenn Produkte weniger gekauft werden - und was würde mit ihnen passieren?
Dass teurere Ware weniger gekauft wird, kann passieren - es gilt sogar als wahrscheinlich. Pennysprecher Andreas Krämer erklärt, die Logistik des Unternehmens sei so organisiert, dass man tagesaktuell reagieren könne. Das bedeute, wenn ein Produkt an einem Tag weniger gekauft wurde, werde am nächsten Tag weniger geliefert. Zudem habe man die neun Produkte so ausgewählt, dass sie ein ausreichend langes Mindesthaltbarkeitsdatum hätten. Wenn trotz allem etwas übrig bleibe, solle es an die Tafel gehen oder zum Food-Sharing. "Es wandert nichts in die Tonne", sagt Krämer.
Erste Aktion mit "wahren Kosten" schon 2020
Bereits im Jahr 2020 hatte Penny ein Experiment mit den "wahren Kosten" von Lebensmitteln gestartet. In einer Filiale in Berlin hatten für eine bestimmte Zeit einige Produkte zwei Preisschilder. Auf einem wurde der "normale" Verkaufspreis angezeigt, auf einem zweiten Etikett waren die gesellschaftlichen Kosten durch die bei der Produktion anfallenden Umweltschäden hinzugerechnet. An der Kasse mussten die Kunden allerdings nur die gewohnten Preise bezahlen.
Sinnvoll, PR-Gag oder Greenwashing?
Die Aktionswoche darf nach Ansicht von Verbraucher- und Umweltschützern kein einmaliges Experiment bleiben. "Der Aktion im Supermarkt müssen endlich grundlegende Maßnahmen folgen. Die Supermarktketten sind dabei ebenso in der Pflicht wie die Bundesregierung", sagte Matthias Lambrecht, der Landwirtschaftsexperte der Umweltorganisation Greenpeace.
Auch der Bund Umwelt und Naturschutz und der Bundesverband der Verbraucherzentralen forderten bei einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur, das Problem der verdeckten Umweltkosten bei der Lebensmittelproduktion müsse endlich konsequent angegangen werden. Ein Weg wäre nach Einschätzung der Verbände die Senkung der Mehrwertsteuer auf in der Produktion weniger umweltbelastende Lebensmittel wie Obst und Gemüse.
Doch gab es auch Kritik an der Aktion. Für die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch etwa ist sie ein "reiner PR-Gag". Während Penny für gerade einmal neun seiner Produkte die "wahren Preise" verlange, drücke die Supermarktkette gleichzeitig die Preise für etliche andere klima- und umweltschädliche Lebensmittel wie Fleisch aufs Minimum.
Bauernverband: "Greenwashing"
Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, urteilte: "Die Penny-Aktion zu 'wahren Kosten' ist vor allem ein auf Kosten der Bauern ausgetragenes Greenwashing-Projekt eines Discounters, der sich ansonsten wenig für faire Bepreisung interessiert."