Korrespondentin Kerstin Dausend aus Berlin zur Partei Sahra Wagenknechts
Aktuelle Stunde. 23.10.2023. UT. Verfügbar bis 23.10.2025. WDR.
Wagenknecht-Partei: Politikwissenschaftler sieht Gefahr für die Linke
Stand: 23.10.2023, 20:00 Uhr
Ex-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat ihre Pläne für eine eigene Partei vorgestellt. Welche Chancen hat ihr Projekt? Und was bedeutet das für die Linkspartei in NRW?
Von David Zajonz und Christian Wolf
Mit einem großen Knall hat sich Sahra Wagenknecht aus der Linkspartei verabschiedet. Am Montag erklärte sie zusammen mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten ihren Parteiaustritt. Damit ist die bereits erwartete Spaltung der Linken vollzogen.
Zudem kündigte Wagenknecht die Gründung einer neuen Partei an. Die könnte bereits im kommenden Jahr bei der Europawahl und den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern antreten. "So wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen", sagte sie. Als zentrale Themen nannte sie den "Erhalt unserer wirtschaftlichen Stärken", das Eintreten für soziale Gerechtigkeit sowie eine friedensorientierte Außenpolitik.
Bekannte Linken-Politiker aus NRW sind dabei
Die neue Wagenknecht-Partei soll aus dem bereits gegründeten Verein BSW ("Bündnis Sahra Wagenknecht") hervorgehen. Der wurde am Montag vorgestellt. Auffällig: Neben Wagenknecht saßen auf dem Podium noch zwei weitere NRW-Politiker: Christian Leye und Lukas Schön. Sie waren bislang auch in der Linkspartei und helfen nun aktiv beim Aufbau der neuen Partei. Leye ist stellvertretender Vorsitzender des BSW und Schön fungiert als Geschäftsführer.
Sie folgen Wagenknecht: Lukas Schön (links) und Christian Leye (rechts)
Beide sind bei den Linken in NRW gut bekannt. So war Leye von 2016 bis 2021 Landesvorsitzender und ist inzwischen Duisburger Bundestagsabgeordneter. Schön war bereits Landesgeschäftsführer der Linken in NRW. Zusammen mit Wagenknecht bilden die NRWler eine große Machtbasis in dem neuen Projekt. Denn auch die Frontfrau selbst war bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren über den ersten Platz der NRW-Landesliste ins Parlament eingezogen.
Hinzu kommen noch weitere Verbündete aus NRW, die Wagenknecht nun folgen. So sind auch die NRW-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Andrej Hunko aus der Linkspartei ausgetreten. Von den bisherigen sechs NRW-Abgeordneten der Linken sind somit nur noch zwei übrig.
Linken-Chef spricht von "Befreiungsschlag"
Da stellt sich natürlich die Frage, was all das nun für die Partei in NRW bedeutet? Schließlich galt der Landesverband lange als "Wagenknecht-Hochburg", wie die taz schreibt. Eine massenhafte Abwanderung sieht der aktuelle Landesvorsitzende Sascha Wagner dennoch nicht. Er erwartet, dass sich von den rund 6.500 Parteimitgliedern im Land nur "wenige hundert" Personen dem neuen Bündnis anschließen.
Im WDR-Interview zeigte sich Wagner sogar erleichtert über die Parteineugründung und sprach von einem "Befreiungsschlag". Denn: Der Streit über die Person und den Kurs von Wagenknecht hatte in der Landespartei für eine dauerhafte Kontroverse gesorgt.
Strafanzeige gegen Ex-Linken
Inzwischen wurde bekannt, dass es zwischen dem Linken-Landesverband und dem Wagenknecht-Anhänger Lukas Schön Ärger gibt. So hat die Partei Strafanzeige gegen den ehemaligen Geschäftsführer gestellt. Landeschef Wagner bestätigte dem WDR einen entsprechenden Bericht vom Magazin "Stern". Es geht um den Verdacht auf Datendiebstahl. Schön soll in seiner früheren Funktion unbefugt die Mitgliederdatei aus NRW kopiert haben - kurz bevor er den Job aufgab. Er selbst bestreitet das.
Schafft es die Linkspartei noch über fünf Prozent?
Aus Sicht von Politikwissenschaftler Benjamin Höhne ist die Gründung der Wagenknecht-Partei "hochproblematisch" für die gesamte Linke: "Sie wird Schwierigkeiten haben, die Fünf-Prozent-Hürde bei Landtagswahlen und vor allem bei der nächsten Bundestagswahl zu überspringen. Da sieht es sehr düster aus", so Höhne.
Bereits bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren schaffte es die Linkspartei nur dank einer Sonderregelung ins Parlament. Sie blieb mit 4,9 Prozent knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde, durfte aber trotzdem eine Fraktion bilden, weil sie drei Direktmandate gewonnen hatte.
In NRW kämpft die Partei schon länger ums Überleben. So ist sie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr im Landtag vertreten. Beim letzten NRW-Trend des WDR kam die Partei im Juni nur auf drei Prozent. Im Bund steht sie in aktuellen Umfragen etwas besser da, müsste aber auch um den Einzug ins Parlament zittern.
Politikwissenschaftler: "Das Wählerpotential ist sicherlich da"
Und Wagenknechts Partei? Laut einer aktuellen Insa-Umfrage für die "Bild am Sonntag" könnten sich 27 Prozent der Befragten vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Doch das sind erst einmal nur theoretische Fragen und keine konkreten Wahlabsichten. "Das Wählerpotential ist sicherlich da", sagt Politikwissenschaftler Höhne. Ob ihr Projekt gelingt, stehe aber noch in den Sternen. Die große Frage sei, so Höhne, ob Wagenknecht es schafft, eine Organisation mit genügend Mitstreitern und Finanzen aufzubauen.