Verkehrsministerkonferenz: Wie soll das Deutschlandticket finanziert werden?
Aktuelle Stunde. 11.10.2023. 30:00 Min.. UT. Verfügbar bis 11.10.2025. WDR. Von Mathea Schülke.
Kein Geld fürs Deutschlandticket: Verkehrsverbünde zusammenlegen?
Stand: 11.10.2023, 21:12 Uhr
In ganz Deutschland gibt es mehr als 60 Verkehrsverbünde. Minister Wissing fordert eine Reduzierung. Damit könnte Geld fürs Deutschlandticket frei werden. Doch es gibt Widerstand.
Von Christian Wolf
Es ist noch gar nicht so lange her, da war eine simple Fahrt mit Bus und Bahn von Duisburg nach Aachen eine Wissenschaft für sich. Gestartet wurde im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), durchquert wurde der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) und am Ende stieg man im Aachener Verkehrsverbund (AVV) aus. Der dazu passende Tarifdschungel wirkte auf manch einen wie hochkomplexe Raketenwissenschaft.
Dank des mittlerweile eingeführten Deutschlandtickets sind die Probleme mit den unterschiedlichen Tarifen vorbei. Doch die Struktur dahinter ist geblieben. Noch immer gibt es vier Verkehrsverbünde in NRW, in ganz Deutschland sind es noch viel mehr. Sie kümmern sich jeweils für ein eigenes Gebiet darum, den ÖPNV zu planen und zu organisieren. Welche Busse fahren von wo nach wo? Wie sind die Preise? Und welcher Fahrplan gilt?
Wissing nimmt Verkehrsverbünde in den Blick
Bundesverkehrsminister Volker Wissing hält die Strukturen für unnötig. Er fordert eine Reduzierung der Verkehrsverbünde. Mit den Einsparungen würde Geld frei, das in das Deutschlandticket gesteckt werden könnte. Vor der am Mittwoch begonnenen Konferenz der Verkehrsministerinnen und -minister von Bund und Ländern hat der FDP-Politiker seine Forderung noch einmal bekräftigt. "Kein Mensch versteht, warum wir immer noch über 60 Verkehrsverbünde in Deutschland haben", sagte Wissing den Sendern RTL und ntv.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing
Der Minister argumentiert, dass, wenn Verkehrsverbünde verschmolzen würden, Geld für Verwaltungsstrukturen eingespart werden könnte. "Ich empfehle den Ländern, jetzt mutig weiter voranzugehen und den Flickenteppich der Verkehrsverbünde effektiv neu zu ordnen", hieß es schon im Sommer. Es gebe allein zwei Milliarden Euro Vertriebskosten für ÖPNV-Tickets. Das müsse sich ändern.
Die Debatte kommt nicht zufällig. Seit Monaten streiten Wissing und seine Ministerkollegen aus den Ländern über die Finanzierung des Deutschlandtickets ab 2024. Die Länder fordern mehr Geld vom Bund, der wiederum zeigt durch die Debatte über die Verkehrsverbünde, dass erst einmal vor Ort eingespart werden sollte.
Verkehrsforscher: Nur noch ein Verbund pro Bundesland
Unterstützung kommt von Verkehrsforscher Andreas Knie. Er sprach am Mittwoch im WDR-Interview von einer "gigantischen Bürokratiemaschine", in die sich die Verwaltung des ÖPNVs entwickelt habe. Diese koste viel Geld und müsse deutlich günstiger werden. "Sie müssen sich leider schlanker machen", sagte Knie.
Wenn das Geld für das Deutschlandticket nun knapp sei, wäre es ein guter Gedanke, jetzt zu überlegen: "Wir retten das 49-Euro-Ticket und machen es vielleicht sogar noch günstiger, und das holen wir dadurch ein, dass wir die Verkehrsverbünde verschmelzen und vielleicht pro Bundesland nur noch maximal einen einzigen haben."
In Nordrhein-Westfalen würde das bedeuten, dass VRS, VRR, AVV und WestfalenTarif eins werden. Bayern oder Baden-Württemberg haben sogar deutlich mehr Verbünde. In Berlin und Brandenburg gibt es bereits nur einen gemeinsamen Verkehrsverbund.
NRW-Minister zweifelt am Einsparvolumen
Oliver Krischer
Was sagt der zuständige Minister in NRW? "Ich will nicht verhehlen, dass es immer auch Reformbedarf gibt und dass man immer auch mal gucken muss, ist die eine oder andere Struktur noch angemessen", sagte Oliver Krischer (Grüne) Ende September der Deutschen Presse-Agentur. Das werde die Finanzierungsprobleme aber nicht ansatzweise lösen. Soll heißen: Die große Ersparnis gebe es dadurch nicht.
Dieser Meinung ist auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Das ist der Branchenverband, in dem auch die Verkehrsverbünde organisiert sind. Vizepräsident Werner Overkamp sagte am Mittwoch dem WDR: "Wir verschließen uns keiner Debatte über die Struktur der Verkehrsverbünde, und man kann sicherlich an der ein oder anderen Stelle etwas einsparen. Aber damit erzielt man nicht Hunderte Millionen von Euro."
Denn die Aufgaben der Verkehrsverbünde müssten auch nach einer Zusammenlegung oder Reduzierung erledigt werden. "So muss der ÖPNV vor Ort organisiert werden, es müssen Ticketeinnahmen verteilt und Fahrpläne geplant werden."
Overkamp, der auch Geschäftsführer der Stadtwerke Oberhausen (STOAG) ist, spricht von einer "Ablenkungsdebatte" durch Wissing. "Im Moment geht es darum, das überaus erfolgreiche Deutschlandticket zu retten. Die Finanzierung gelingt nicht mal eben mit einer Reduzierung der Verkehrsverbünde."
Verbünde sehen Vorteile
Vor Ort wird auf die Vorteile des bisherigen Systems verwiesen. So sagte eine VRS-Sprecherin dem WDR, dass es in NRW bereits eine "äußerst überschaubare Anzahl" an Verkehrsverbünden gebe. Angesichts der Größe des Landes und der Einwohnerzahl sei das "absolut angemessen". "Eine weitere Zentralisierung würde bedeuten, dass die regionalen Unterschiede der Räume nicht mehr angemessen beachtet werden könnten." Vom VRR hieß es, dass sich die Organisationsstrukturen "grundlegend bewährt" hätten.
Reform nur bei großem Konsens
Dass die Verkehrsverbünde selbst so argumentieren, verwundert Kritiker nicht. Schließlich geht es um handfeste Interessen. Wenn es in NRW nur noch einen statt vier Verkehrsverbünde gäbe, würden beispielsweise auch weniger Führungskräfte gebraucht.
Durchsetzen könnte eine Reform die Politik. Doch in den Gremien der Verbünde sitzen viele Politikerinnen und Politiker. Am Ende bräuchte es wohl einen großen Konsens aller Beteiligten.
Unsere Quellen:
- Interview mit Andreas Knie bei WDR 2
- WDR-Anfragen bei VDV, VRR und VRS
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP