Jemand feilt einer anderen Person die Nägel

Ausgebeutet: Die dunkle Seite der Nagelstudios

Stand: 15.01.2025, 12:00 Uhr

Die Arbeitsausbeutung in Deutschland wächst. Oft betroffen sind vietnamesische Menschen, die in Nagelstudios arbeiten. Gleichzeitig gibt es in NRW zu wenige Kontrollen in der Branche.

Von Lilofee Fettich und Sarah Janßen

Draußen strahlen bunte Leuchtreklamen – werben mit bunten Nägeln aus Gel oder Acryl für gerade einmal 25 Euro. Doch schon vor der Ladentür schlägt einem ein starker chemischer Geruch entgegen. Drinnen warten schockierende Arbeitsbedingungen, berichtet Jens Ahland vom Hauptzollamt Köln. Er war schon bei vielen Kontrollen in Nagelstudios dabei. Seine Erfahrung: Besonders prekär ist die Situation für vietnamesische Mitarbeitende. 

Ausbeutung in vietnamesischen Nagelstudios

Betroffene arbeiten in den Studios oftmals viele Stunden am Stück ohne Pausen – teils videoüberwacht. Sogar Minderjährige würden manchmal in den Studios beschäftigt. Die Bezahlung schwankt zwischen keinem Lohn und 12 Euro pro Stunde.

Hinzukommt, dass viele Betroffene entweder mit vielen anderen gemeinsam in kleinen Wohnungen zu horrenden Mieten lebten oder direkt im Nagelstudio schliefen.

"Da haben wir schon Sachen gesehen, dass die im Nagelstudio schlafen, auf Matratzen im Chemielager,  wo auch die Chemikalien lagern, die tagsüber gebraucht werden. Und wer schon mal in so einem Nagelstudio war, der weiß, wie es da riecht." Jens Ahland, Hauptzollamt Köln

Doch die Beamten erfahren das nur selten, erzählt Ahland weiter. Viele der Betroffenen seien verängstigt und würden sich nur selten dem Zoll gegenüber öffnen.

Abgeschottete Community

Viele Vietnamesinnen und Vietnamesen wissen nicht, was angemessene Arbeitszeiten in Deutschland sind. Hinzu kommt die Sprachbarriere und die Angst vor einer möglichen Abschiebung. Denn viele dieser Menschen sind haben keinen Aufenthaltstitel in Deutschland, haben ihre Pässe Menschenhändlern oder Schleusern geben müssen. Sie befürchten zudem die eigene Familie in Vietnam zu enttäuschen oder sie sogar in Gefahr zu bringen. Denn um ein Familienmitglied nach Europa zu bringen, verschulden sich die Familien oft.

Behörden stoßen an Grenzen

In Deutschland ist der Zoll hauptsächlich für die Kontrolle von Nagelstudios verantwortlich - genauer gesagt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Diese Einheit des Zolls kümmert sich um die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung.

Im letzten Jahr hat der Zoll 348 Kontrollen in der gesamten Kosmetik- und Friseurbranche in NRW durchgeführt. Doch die Branche hier ist riesig: Allein in NRW gibt es rund 40.000 Kosmetik- und Friseurbetriebe – darunter fallen auch die knapp sechseinhalbtausend Nagelstudios. Das bedeutet: Ein einzelner Betrieb wird bei einer gleichmäßigen Verteilung der Kontrollen nur alle 115 Jahre kontrolliert. 

Eine Abfrage bei den zehn größten Städten in NRW ergab, dass die meisten Nagelstudios von deutschen Inhaberinnen und Inhabern betrieben werden. Direkt danach auf Platz zwei: Nagelstudios mit vietnamesischen Betreibenden. Darunter auch immer wieder Studios, in denen vietnamesische Menschen ausgebeutet werden. 

Expertin fordert stärkeren Fokus auf Menschenhandel

Um die Ausbeutung vietnamesischer Menschen in Nagelstudios effektiv anzugehen, müssten auch die Ursachen für Menschenhandel und Ausbeutung stärker in den Blick genommen werden, sagt Dr. Dorothea Czarnecki, die unter anderem Referentin für Kinderschutz und Menschenhandel bei ECPAT Deutschland, einer Organisation für den Schutz vor sexueller Ausbeutung, Gewalt und Menschenhandel, ist.

Behörden brauchen viel mehr Sensibilisierung, noch viel mehr Fachwissen worum es sich bei vietnamesischen Menschenhandel speziell handelt  und was die Betroffenen brauchen. Dr. Dorothea Czarnecki, Expertin für Menschenhandel

Der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. fordert zudem eine bessere Betreuung und Beratung von Betroffenen durch die Mitarbeitenden des FKS.

Ampel-Aus verhindert Gesetz gegen Schwarzarbeit

Das Bundesfinanzministerium, dem der Zoll unterstellt ist, legte vor dem Bruch der Ampelkoalition einen Gesetzentwurf zur Erneuerung des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes vor. Die Zusammenarbeit zwischen der FKS mit anderen Strafverfolgungsbehörden sollte verstärkt werden. Doch das Gesetz wird nun erstmal nicht kommen. Stattdessen ist der Zoll weiterhin stark auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, um die Nagelstudios zu kontrollieren.

Verantwortung der Kunden

In Nagelstudios, in denen Ausbeutung betrieben wird, gibt es Gelnägel oft zum Schnäppchenpreis – teilweise für nicht einmal 30 Euro. Der Verband der Nageldesigner Deutschland (VNDD) hält eine Preisspanne für eine Neumodellage von 50 bis 65 Euro für angemessen. In die Preiskalkulation gehören unter anderem die Kosten für die Mitarbeitenden Arbeitsmaterialien, und weitere Kosten für Versicherungen, Strom, Heizung und Miete. Sehr günstige Preise könnten daher laut Czarnecki ein erstes Indiz für Arbeitsausbeutung sein.

Man muss nicht Detektiv spielen, um die ersten Hinweise an die Behörden zu geben, für die Chance, Betroffene tatsächlich aus Ausbeutungs Situationen herauszuholen. Dr. Dorothea Czarnecki, Expertin für Menschenhandel

Darüber hinaus kann laut Czarnecki ein weiteres Anzeichen für Ausbeutung sein, wenn männlich-gelesene Nageldesigner im Studio arbeiten. In Vietnam selbst gilt die Nagelbranche als  „Frauen-Job”. In manchen Studios gibt es zudem versteckte Hinterräume oder das Studio ist während der Behandlung abgeschlossen – auch das können Indizien auf Ausbeutung sein. Aber nur weil ein Nagelstudio vietnamesisch-gelesen aussieht, bedeutet es nicht, dass dort auch Ausbeutung stattfindet.

Und somit bleibt ein Teil der Verantwortung auch bei den Kundinnen und Kunden. 

Unsere Quellen:

  • Reporterinnen vor Ort 
  • Menschenhandelsexpertin Dr. Dorothea Czarnecki
  • Zoll-Sprecher Jens Ahland
  • IHK
  • HWK
  • Die Städte Bonn, Wuppertal, Essen, Duisburg, Essen, Münster, Dortmund, Bochum, Bielefeld, Düsseldorf, Köln
  • Forschungsbericht „Menschenhandel und Ausbeutung vietnamesischer Staatsangehöriger in Deutschland“
  • Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen: Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung und Digitalisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung
  • Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel (KOK)
  • Verband der Nageldesigner Deutschland (VNDD)

Über dieses Theman berichten wir auch im WDR Hörfunk: Am 15.01.2025 um 17:05 Uhr im Westblick auf WDR5.