Am 22. Oktober überschritt die 7-Tage-Inzidenz in NRW erstmals die Marke von 70 Fällen pro 100.000 Einwohner und lag bei 70,8. Kurz darauf wurde der "Lockdown light" für den November beschlossen - eine Maßnahme, die wenig Wirkung zeigte. Denn die Kurve der Inzidenzzahlen stieg steil an, die zweite Welle nahm Fahrt auf. Nur vier Tage später war die 100er-Marke überschritten, kurz vor Weihnachten lag sie bei fast 200.
Eine Lage, die der heutigen ähnelt. Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut eine Inzidenz von 72,4, nachdem sie am Vortag noch bei 69,1 gelegen hatte. Auch der R-Wert, der angibt, wie viele Menschen ein Infizierter rechnerisch ansteckt, ist über den kritischen Wert von 1 gestiegen.
Wie groß wird die dritte Welle?
Das alles sind für RKI-Chef Lothar Wieler klare Anzeichen dafür, "dass die dritte Welle schon begonnen hat". Wie steil sich diese auftürmt, hängt einerseits vom Fortschritt der Impfkampagne ab. Andererseits aber auch von den Maßnahmen wie Abstandhalten und Kontaktbeschränkungen. Aktuelle Daten des RKI zeigen allerdings: War die Mobilität in Deutschland während des ersten Lockdowns noch um 40 Prozent gesunken, sind es derzeit nur zehn Prozent weniger. Das ist zwar etwas besser als Ende Oktober, als quasi "Normalmobilität" herrschte. Aber ob das reicht, um die dritte Welle zu brechen? Nicht nur der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach rechnet mit weiter steigenden Zahlen.
Zehn der 53 Kommunen in NRW haben Inzidenz über 100
Diese würden dann auch einen großen Teil der beim letzten Corona-Gipfel beschlossenen Öffnungsszenarien zunichte machen. Denn viele Lockerungen setzen eine stabile Inzidenz voraus. Sollten die Inzidenzzahlen allerdings über 100 steigen, würden alle Lockerungen hinfällig. Die "Notbremse" würde gezogen, der nächste Lockdown stünde vor der Tür. Schon heute liegen 10 der 53 Städte und Kommunen in NRW über dieser Grenze.
Frühlingsaussichten: Im Freien ist Aerosolkonzentration geringer
Zwei Faktoren unterscheiden die aktuelle Lage von der im vergangenen Herbst. Statt dem Winter steht nun der Frühling vor der Tür. Das heißt: Das Leben verlagert sich immer mehr nach draußen, wo laut Experten die Ansteckungsgefahr deutlich geringer ist als in geschlossenen Räumen. Wegen des Windes und der Luftbewegungen könnten sich virenhaltige Aerosole an der frischen Luft bei weitem nicht so stark konzentrieren wie drinnen, sagt etwa der Nanotechnologen Christof Asbach. Allerdings steigt mit besserem Wetter die Anzahl der sozialen Kontakte und somit auch das Risiko. Und eine hundertprozentige Sicherheit gibt es auch im Freien nicht.
RKI-Chef: "Sind in einem anstrengenden Marathon"
Dazu kommt: Die ansteckendere Corona-Variante B.1.1.7 ist in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. Auch bei Unter-Sechzigjährigen sowie bei Kindern und Jugendlichen unter 15 stiegen die Zahlen "sehr rasant" an, sagte RKI-Chef Lothar Wieler am Freitag. Er plädierte dafür, weiter Kontakte zu reduzieren und die Abstands- und Hygieneregeln streng einzuhalten. Wieler verglich die Pandemie mit einem Marathon. "Wir befinden uns im letzten, besonders anstrengenden Drittel", sagte er. "Mit Hilfe der Impfung werden wir aber bald auf der Zielgeraden sein und in eine neue Phase der Pandemie eintreten."