Impfgerechtigkeit: Sollten Ältere nur Astrazeneca bekommen?

Stand: 12.05.2021, 08:49 Uhr

Die Skepsis gegenüber Astrazeneca ist groß - auch bei Senioren, die kein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen haben. Viele Ältere warten daher lieber auf den Impfstoff von Biontech. Nehmen die Alten den Jungen "ihren" Impfstoff weg?

Die Gefahr von schweren Nebenwirkungen bei einer Impfung mit Astrazeneca ist verschwindend gering. Dennoch hat die anhaltende Diskussion um die Sicherheit das Image des Impfstoffs offenbar nachhaltig beschädigt. Aus ganz Deutschland und NRW berichten Hausärzte, dass viele Patienten ihren Impftermin platzen lassen - wenn sie erfahren, dass sie Astrazeneca bekommen sollen. Offenbar warten auch viele Senioren über 60 lieber auf eine Impfgelegenheit mit Biontech. Obwohl für sie das Risiko von schweren Hirnvenenthrombosen noch geringer ist als für jüngere Patienten.

Unsolidarisch? Oder sogar asozial?

Ist das unsolidarisch gegenüber der Jugend? Oder sogar asozial? Die 22-jährige Jura-Studentin Sophie Trexler aus Mönchengladbach hat kein Verständnis für solche Rosinenpickerei. Seit über einem Jahr müsse sie auf nahezu alles verzichten, was das Leben lebenswert macht, meint sie im Gespräch mit WDR aktuell. Sie habe das gerne auf sich genommen. "Ich finde, Jüngere müssen sich für Ältere einsetzen. Aber langsam sollten wir auch etwas zurückbekommen."

Insbesondere dürften sich Ältere nicht weigern, den für sie völlig ungefährlichen Astrazeneca-Impfstoff anzunehmen, fordert Sophie Trexler. Das gelte besonders für Männer. "Lasst für uns Biontech und Moderna, damit wir ins Leben zurückkehren können."

Mediziner: "Astrazeneca im Überfluss"

"Wir haben zurzeit Astrazeneca im Überfluss", sagt Oliver Funken, Allgemeinmediziner im Rhein-Sieg-Kreis und Vorstand des Hausärzteverbands Nordrhein, am Mittwoch im WDR 5 Morgenecho. "Gleichzeitig haben wir eine gewisse Verweigerung in allen Altersgruppen." Vor der Impfung sei also viel Überzeugungsarbeit gefragt, was eine Menge Zeit koste. Die meisten Patienten willigten aber schließlich ein. Er erwarte von der älteren Generation in dieser Frage Solidarität - auch weil die Vorteile einer Astrazeneca-Impfung im Vergleich zu den Risiken unschlagbar seien.

Hausarzt wirbt für Verständnis

Guido Marx, Hausarzt in Köln, wirbt hingegen für Verständnis für die ältere Generation. Wenn jemand Angst vor einer Impfung mit Astrazeneca habe, "dann kann ich ihn nicht überreden", sagte Marx am Dienstag im Gespräch mit der Aktuellen Stunde. "Vertrauen kann man nicht einfordern" - das Alter der Patienten sei in diesem Zusammenhang egal. Insgesamt habe er aber den Eindruck, dass Astrazeneca in jüngster Zeit wieder mehr akzeptiert werde. Das hänge wohl damit zusammen, dass die Patienten von den Corona-Einschränkungen müde seien und möglichst schnell die Privilegien von Geimpften genießen wollen.

So entspannt sehen das nicht alle Ärzte: Viele junge Leute hätten keine Chance auf eine Impfung, weil die über 60-Jährigen ein Impfangebot ablehnen, sagte Mediziner Peter Weitkamp aus Kirchlengern kürzlich dem WDR. Die Politik sei schlicht zu feige, um klare Regeln zu verkünden. Das einzig Richtige sei: "Die über 60-Jährigen werden mit Astrazeneca geimpft, die Jüngeren mit Biontech."

Großteil der Biontech-Lieferungen für Zweitimpfungen reserviert

Das Problem dürfte sich in den kommenden Wochen noch verschärfen. Denn weil im Mai ein Großteil der knappen Biontech-Dosen für Zweitimpfungen reserviert sind, wird für die Erst-Impfungen in Arztpraxen wohl fast ausschließlich Astrazeneca zur Verfügung stehen, meldet die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO).

Die Jüngeren seien frustriert, sagt Wissenschaftsjournalist Mirko Drotschmann, besser bekannt unter seinem Youtube-Pseudonym "MrWissen2go", im Gespräch mit dem WDR. "Wir waren so lange solidarisch und haben die Füße stillgehalten, um die Älteren zu schützen. Nun sind die bald alle geimpft und wir wissen immer noch nicht, wann wir dran sind." Allerdings habe er im Gespräch mit seinen Usern nicht den Eindruck gewonnen, dass sich ihr Zorn gegen die Älteren richte. Die Wut richte sich vor allem auf die Politik, beziehungsweise auf die holprige Impfkampagne mit ihrer teilweise ungerechten Priorisierung.

MrWissen2go: Corona setzt auch Jugendliche unter Druck

Er könne die schlechte Stimmung bei Jugendlichen gut nachvollziehen, sagt Drotschmann. Die Politik habe sie vielleicht nicht vergessen. "Aber sie haben vielleicht gedacht: 'Mit denen kann man das machen'", weil sie flexibler sind als die Älteren. Das sei aber ein Trugschluss. Die Corona-Krise bringe auch Jugendliche an ihre Schmerzgrenzen, die psychischen Erkrankungen in der Altersgruppe nähmen zu.

Kommentare zum Thema

  • Harald 12.05.2021, 18:40 Uhr

    Ich kann diesen Vorwurf der angeblichen mangelnden Solidarität nicht mehr hören. Die Älteren lehnen den Impfstoff ab, weil sie Angst haben, davon krank zu werden bzw. sogar zu sterben. Auch wenn die Thrombosefälle wohl selten waren, haben sie zum Teil schlimme Folgen gehabt. Wie schlimm, wenn man auf diese Weise einen nahen Menschen verliert. Auch wenn diese Risiken über 60 wohl geringer sind. Ausgeschlossen sind sie nicht! Und weshalb wird Astracenica nicht mehr in Ländern wie Dänemark verabreicht? Dies spricht dafür, mit diesen lächerlichen Vorwürfen aufzuhören. Schlimm finde ich nur, dass dies die Hausärzte das auszubaden haben. Und das, obwohl dieser Impfstoff von Impfszentren mehrfach auf freiwilliger Basis im Rahmen von Sonderaktionen erfolgreich angebotenen worden ist. In Köln haben sich letztens 2.000 Leute damit impfen lassen. Hört doch mal auf, die Alten gegen die Jungen auszuspielen.

  • Reiner Schonvogel 12.05.2021, 17:44 Uhr

    Meine Frau und ich sind über 60 und einmal mit Astra Zeneca geimpft. Wir hatten keine Impfnachwirkungen. Bei über 60-jährigen sollte keine Auswahl des Impfstoffs möglich sein, wenn nicht eine medizinische Kontraindikation gegen Astra Z. besteht. Nur so lässt sich bei knappen Impfstoffen eine Ungerechtigkeit zu Lasten der jüngeren vermeiden.

  • JUKUK 12.05.2021, 17:40 Uhr

    Was soll das Gejammere der jungen Frau. Seit einem Jahr keine Party. Meine Frau und ich (Ü75) haben auch kaum noch Kontakte/Treffen mit Verwandten/Freunden/Bekannten, es gibt seit 1,5 Jahren keinen Urlaub mehr und wir leben immer noch. Man muß auch den Verzicht üben. Und mit AstraZeneca lassen wir uns nicht impfen. Freunde/Bekannte, die damit geimpft wurden waren alle 2-3 Tage krank mit Kopf-/Gliederschmerz usw. Wir bekommen morgen die 2. Impfung mit BionTech beim Hausarzt. Bei der 1. Impfung Null Nebenwirkung. Das ganze Handling von Kommunen/Ländern/Bund in der Pandemie ist ein einzige Veranstaltung von Irren und Dilettanten.