Weniger Gas durch Nord Stream 1 - Was bedeutet das für uns?

Stand: 15.06.2022, 16:43 Uhr

Russlands Gazprom-Konzern will seine Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 reduzieren. Engpässe drohen offenbar nicht. Aber das Füllen der Gasspeicher könnte schwieriger werden.

Seit dem Ukraine-Krieg wird gebannt darauf geschaut, ob und wie die Gasversorgung aus Russland hierzulande klappt. Die einen wollen auf russisches Gas verzichten, andere befürchten einen Lieferstopp. So oder so lautet das Ziel, die riesigen Gasspeicher bei uns schnellstmöglich zu füllen - denn der nächste Winter kommt bestimmt. Für Unruhe sorgt deshalb eine aktuelle Meldung, wonach der russische Energieriese Gazprom die Lieferung nach Deutschland massiv verringern will. Das steckt dahinter:

In welchem Umfang und warum reduziert Russland die Gaslieferungen?

Es geht um die Pipeline Nord Stream 1. Sie ist für Deutschland die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas. Gazprom hatte am Dienstag mitgeteilt, dass nur noch bis zu 100 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die Pipeline gepumpt werden können. Das sind 40 Prozent weniger im Vergleich zum bisherigen Tagesvolumen.

Am Mittwoch verschärfte sich die Ankündigung des russischen Gasunternehmens weiter: Statt 100 Millionen Kubikmeter kündigte Gazprom ab Donnerstag nur noch 67 Millionen Kubikmeter als maximale, tägliche Gasliefermenge an.

Bundeswirtschaftsminister Habeck zweifelt russische Darstellungen über eingeschränkte Gaslieferungen an und betont, man habe es bislang immer geschafft "Gas aus anderen Quellen aufzutreiben". Wie niedrig auch immer die Gaslieferungen in den kommenden Tagen ausfallen werden - was bedeutet das für die weitere Versorgung hierzulande?

Ist die Begründung nachvollziehbar oder vorgeschoben?

Zunächst von vorn: Als Grund für die geringeren Gaslieferungen wird von Gazprom unter anderem genannt, dass nach Reparaturarbeiten am Startpunkt der Pipeline mehrere Kompressoren des deutschen Siemens-Konzerns fehlten.

Ob das stimmt, ist unklar. Siemens hat am Dienstag mitgeteilt, dass der Konzern tatsächlich Gasturbinen, die in Kanada überholt wurden, wegen der kanadischen Russland-Sanktionen nicht an die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 liefern kann.

Trotzdem äußern Fachleute Zweifel. Laut Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, Aussage vom Dienstag) scheint es sich um ein "vorgeschobenes Argument" zu handeln. Denn Russland könnte Gas über andere Transportrouten liefern - wenn das gewollt wäre.

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Der Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Janis Kluge, vermutet hinter der Gas-Drosselung eine Absicht. "Wenn Russland die Preise in Europa auf dem aktuellen Niveau halten will, muss Gazprom die Lieferungen in die EU in den kommenden Monaten Schritt für Schritt reduzieren."

Ähnlich äußert sich Energieexperte Georg Zachmann. "Was hier geschieht, deutet auf ein politisches Spiel des Kremls hin: Die Daumenschrauben werden immer enger angezogen, um die Preise und den Druck auf die hiesige Politik hochzuhalten", sagte er dem "Spiegel".

Tatsächlich sind Zweifel an der Zuverlässigkeit der russischen Seite angebracht. Denn die russischen Erdgaslieferungen nach Europa sind seit Inkrafttreten der Sanktionen gegen Moskau wegen des Angriffskrieges auf die Ukraine deutlich gesunken. Gazprom unterbrach zudem die Belieferung mehrerer europäischer Kunden, darunter Polen und die Niederlande, weil diese sich weigerten, für das Gas in Rubel zu bezahlen.

Drohen jetzt Lieferengpässe bei Gas?

Da wird Entwarnung gegeben. Energieexpertin Kemfert sagt, die Gasversorgung sei "gesichert". Das versicherte am Dienstag auch eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Versorgung sei "weiter gewährleistet". "Wir beobachten die Lage und prüfen den Sachverhalt", so die Sprecherin.

Auf ein Duschen mit kaltem Wasser oder fehlendes Gas beim Kochen müssen wir uns also nicht einstellen. Hilfreich dürfte sein, dass im Moment sowieso weniger Gas gebraucht wird. Denn die Gasheizungen werden bei den aktuellen Temperaturen nicht wirklich gebraucht. Und für alles andere scheint noch immer genug Gas zu kommen.

Und wie sieht es mit dem Füllen der Gasspeicher aus?

Da könnte sich die Meldung aus Russland eher auswirken. Denn neben dem aktuellen Bedarf wird ein Teil der Gaslieferungen im Moment in die großen Gasspeicher im Land gepumpt. Die sollen ordentlich aufgefüllt werden, um im Ernstfall bei einem kompletten Lieferstopp einen Vorrat zu haben. Zuletzt waren die Speicher - die teilweise in russischer Hand sind - ungewöhnlich leer.

"Die Frage ist natürlich, ob das dann jetzt auch noch so wie geplant klappt", sagt Kemfert. Wichtig sei, wie lange es zu Einschränkungen komme.

Derzeit sind die Gasspeicher zu rund 55 Prozent gefüllt. Ein neues Gesetz schreibt vor, dass es am 1. Oktober 80 Prozent und am 1. November 90 Prozent sein müssen.

Welche weiteren Maßnahmen werden für die Versorgungssicherheit getroffen?

Am Dienstag wurde bekannt, dass die Bundesregierung ein Schlüsselunternehmen für die Gasversorgung mit Milliardenbeiträgen stützt. Dabei geht es um Gazprom Germania, die unter staatlicher deutscher Kontrolle steht. Infolge russischer Sanktionen sei das Unternehmen ins Straucheln geraten und werde nun über ein Darlehen vor der Insolvenz bewahrt, teilte die Bundesregierung mit. Konkrete Zahlen wurden nicht genannt, in Regierungskreisen war von neun bis zehn Milliarden Euro die Rede.

"Mit diesem Vorgehen behält die Bundesregierung den Einfluss auf diesen Teil der kritischen Energieinfrastruktur und verhindert eine Gefährdung der Energiesicherheit", hieß es. Schon Anfang April hatte der Bund die Kontrolle über die deutsche Gazprom-Tochter übernommen. Hintergrund war ein geplanter undurchsichtiger Verkauf des Unternehmens an eine russische Gesellschaft. Das wollte die Bundesregierung verhindern. Denn zu Gazprom Germania gehört unter anderem auch der Gashändler Wingas, der Stadtwerke und Industriebetriebe beliefert.

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0630 - der News-Podcast 15.06.2022 18:55 Min. Verfügbar bis 15.06.2027 WDR Online


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