Am Montag hatten Mitarbeiter des Ausländeramtes der Stadt Viersen Räume der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck unangekündigt durchsucht. Dabei wurde ein kurdisches Ehepaar, das Zuflucht in einem Gemeindehaus in Nettetal gesucht hatte, festgenommen.
Abschiebung droht
Die beiden 43 und 34 Jahre alten Kurden waren 2021 aus dem Irak geflohen und seit Ende Mai 2023 im Kirchenasyl. Ihnen droht jetzt die Abschiebung nach Polen.
Ein Versuch, das Paar vom Flughafen Düsseldorf auszuweisen, sei jedoch von der Bundespolizei abgebrochen worden, weil die Frau einen Zusammenbruch erlitten habe. Das Paar befindet sich nach Angaben der Stadt Viersen nun in der Abschiebehaftanstalt Darmstadt.
Pfarrerin nennt Vorgehen "Skandal"
Pfarrerin Elke Langer von der betroffenen Kirchengemeinde macht in einer Pressemitteilung ihre Meinung zum Vorgehen der Stadt deutlich: "Wir haben das Kirchenasyl aus humanitären Gründen gewährt – ein solcher repressiver Abschiebungsversuch zweier traumatisierter Menschen ist ein Skandal."
Kirche wehrt sich mit Brief an Bürgermeisterin
Auch die Evangelische Kirche bezeichnet das Vorgehen der Stadt als nicht akzeptabel und protestiert mit einem Schreiben an die zuständige Bürgermeisterin Sabine Anemüller dagegen. Darin steht: "Kirchengemeinden gewährten Schutzsuchenden Kirchenasyl nach reiflicher Prüfung des Sachverhalts." Auch im Fall des kurdischen Ehepaars "hätte es gewichtige Gründe gegeben, die die Kirchengemeinde bewogen hätten, dem Ehepaar Kirchenasyl zu gewähren", schreibt Oberkirchenrätin Wibke Janssen von der Evangelischen Kirche.
Weiter heißt es in dem Brief, dass das Vorgehen der Ausländerbehörde gegen Absprachen zum Kirchenasyl verstoße. Janssen kritisiert, dass die Ausländerbehörde das Ehepaar ohne vorherige Kommunikation festgenommen habe – man hätte sonst eine Lösung finden können. "Genau das ist in konflikthaften Situationen aber bewährte Praxis und mit dem Land NRW so vereinbart", unterstreicht Janssen.
Kirchenasyl zuletzt vor neun Jahren beendet
Dieter Müller, stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG), zeigte sich über die Festnahme des Ehepaars verwundert. "Wir sind überrascht. Es gibt eine Vereinbarung zwischen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Räumungen eigentlich ausschließt", so Müller. Eine Räumung wie in Nettetal sei laut ihm ein einmaliger Vorgang. Zuletzt sei ein Kirchenasyl im Jahr 2014 in Augsburg beendet worden.
Stadt weist Vorwürfe zurück
Die Stadt weist die Kritik zurück. In einer Mitteilung heißt es am Freitag: "Die Vereinbarungen wurden und werden in den Verfahren beachtet" – das sei auch im Fall des kurdischen Ehepaars der Fall.
Weiter erklärt die Stadt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüfe, ob das Ehepaar bereits in einem anderen Land – konkret: Polen – ein Asylantrag gestellt wurde. Sei dies der Fall, "findet eine Überstellung der Asylsuchenden" in dieses Land statt, heißt es. Das sei ein Vorgehen nach der Dublin-III-Verordnung.
Nähere Angaben zum Fall macht die Stadt nicht und verweist auf das laufende Verfahren sowie auf den Daten- und Persönlichkeitsschutz.
Kirchenasyl in Notsituationen
Bei einem Kirchenasyl bieten Kirchengemeinden Menschen in Notsituationen zeitlich begrenzt Schutz und bringen sie in einer Kirche oder in kirchlichen Gebäuden unter.
Ziel ist es, eine erneute sorgfältige Prüfung ihrer Situation durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu erreichen. Der Staat toleriert das Kirchenasyl, allerdings kann er von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um Betroffene abzuschieben.
Über dieses Thema berichten wir auch im WDR Fernsehen in der WDR Lokalzeit aus Düsseldorf am 14.07.2023 ab 19:30 Uhr.