Abschied von "Versöhnerin" Mevlüde Genç in Solingen

Stand: 02.11.2022, 14:56 Uhr

In Solingen haben am Dienstag knapp 1.000 Menschen der verstorbenen Mevlüde Genç gedacht. Die 79-jährige Überlebende des Brandanschlags von 1993 war am Sonntag gestorben.

Unmittelbar vor dem Grundstück, auf dem vor knapp 30 Jahren der Anschlag war, drückten hunderte Menschen ihre Anteilnahme aus - darunter NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach. Auch der türkische Botschafter Ahmet Başar Şen und Thomas Kutschaty von der NRW-SPD folgten der Einladung der Solinger Ditib-Gemeinde in die Untere Wernerstraße, wo der Sarg der Bundesverdienstkreuzträgerin unter freiem Himmel aufgebahrt war.

Hunderte trauern um  Friedensbotschafterin Mevlüde Genç in Solingen

Genç war in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Alter von 79 Jahren gestorben. Sie hatte bei dem Brandanschlag von Rechtsextremisten 1993 fünf Familienangehörige verloren. Trotzdem hatte sie nach der Tat zur Versöhnung aufgerufen. Genç habe etwas Unvorstellbares geschafft, sagte Wüst. Sie habe trotz des entsetzlichen Verlusts "die Hand gereicht für Frieden und Versöhnung. Sie hat dem Hass Liebe entgegengesetzt".

Überlebende des Brandanschlags in Solingen

Am 29. Mai 1993 hatten Rechtsextreme das Haus der Familie in Solingen in Brand gesetzt. Das Ehepaar Genç verlor zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. 17 Familienmitglieder waren schwer verletzt worden. Bereits kurz nach dem Attentat hatte Mevlüde Genç zur Versöhnung aufgerufen und immer wieder gemahnt, dass dem Hass Einhalt geboten werden müsse. "So hat sie einen ganz großartigen Beitrag geleistet, zum Zusammenhalt der Gesellschaft, zur Versöhnung. Und deswegen verneigen wir uns vor dieser großartigen Frau", sagte Wüst weiter.

Bundesverdienstkreuz und Mevlüde-Genç-Medaille

Für ihre Anstrengungen um Versöhnung hatte Mevlüde Genç das Bundesverdienstkreuz erhalten. Die NRW-Landesregierung stiftete 2018 ihr zu Ehren eine Mevlüde-Genç-Medaille. Sie wird jährlich rund um den Jahrestag des Brandanschlags von Solingen am 29. Mai an Menschen verliehen, die sich um Versöhnung, Toleranz und Zusammenhalt verdient gemacht haben.

Noch kurz vor ihrem Tod gab es bereits Gespräche zum 30. Jahrestag im kommenden Mai. Die Stadt wollte mit ihr zusammen an den Anschlag erinnern. Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach: "Das war eine intensive Vorbereitung. Nicht nur wegen dem 30. Jahrestag, sondern weil Mevlüde besonders hervorheben wollte, dass nichts vergessen werden darf. Und dass wir über Menschen reden."

Das Vermächtnis von Mevlüde Genç will die Stadt nun dauerhaft weitergeben. Wie genau, das soll jetzt geprüft werden.

Beisetzung in der Türkei

Am Tag nach der Trauerfeier wurde der Leichnam der Friedensbotschafterin in die türkische Schwarzmeer-Stadt Samsun geflogen und später, gehüllt in eine türkische Flagge, zum Dorffriedhof von Mercimek gebracht. Dort sind auch die letzten Ruhestätten der Familienmitglieder, die bei dem Brandanschlag ermordet worden waren. An dem Begräbnis hätten neben Familienmitgliedern auch der deutsche Botschafter in der Türkei sowie türkische Politiker teilgenommen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.

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