Schuleingangsuntersuchung: Immer mehr Kinder mit Defiziten

Stand: 06.06.2024, 18:19 Uhr

Städte und Kreise im Bergischen Land sind alarmiert: Bei vielen Vorschulkindern für das Schuljahr 2024/2025 wurden erhebliche Defizite und Entwicklungsstörungen festgestellt.

Von Petra Dierks

In manchen Städten hat sich die Anzahl der Kinder, die nach dem Sommer deshalb nicht eingeschult werden, innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt. Die Ergebnisse in diesem Jahr zeigen, dass immer mehr Kinder große Schwierigkeiten haben. Viele sind motorisch und sprachlich nicht auf Einschulungs-Niveau.

Bei der für Eltern verpflichtenden Schuleingangsuntersuchung schauen sich Ärzte in den Gesundheitsämtern die Kinder an, die im August in die Schule kommen sollen. Dabei untersuchen sie die körperliche Verfassung, aber auch Sprache, Motorik, Körperkoordination oder die Voraussetzungen, Lesen und Schreiben zu lernen. Von dieser Untersuchung hängt ab, ob die Kinder im Sommer in die Schule kommen oder nicht.

Rückstellungsempfehlungen höher

Allein die Zahl der Solinger Kinder, die eine Rückstellungsempfehlung erhalten haben, hat sich nahezu verdoppelt: Von den gut 600 untersuchten Kindern dürfen 44 Kinder nach dem Sommer noch nicht in die Schule. Vor fünf Jahren waren es noch 24 Kinder. Auch in Remscheid sind mit 51 Kindern deutlich mehr zurückgestellt worden, als in den Jahren zuvor.

Zwar sei die Zahl laut Verwaltung nicht hoch für eine Großstadt; sie seien jedoch Auswirkungen der Corona-Pandemie. Defizite gebe es auch bei Körperkoordination und der Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu lernen. In Solingen waren über 23 Prozent bei der Körperkoordination auffällig;  bei den Fähigkeiten für  Lesen- und Schreibenlernen fielen gut 17 Prozent der Solinger Kinder auf.

Im Oberbergischen Kreis zeigt sich ein ähnliches Bild. Erhebliche Defizite gibt es dort bei der Sprache und in der Motorik. Außerdem haben 38 Prozent der knapp 3000 untersuchten Kinder im Kreis keine ausreichenden Deutschkenntnisse. 76 Prozent der Kinder können noch nicht schwimmen.

Herausforderung für Grundschulen enorm

Die Lehrergewerkschaft GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft) sieht in den Ergebnissen eine Negativ-Entwicklung, die durch die Corona-Pandemie und den stets wachsenden Personalmangel in Kita und Grundschule verschärft wurde. Seit zum Schuljahr 2005/2006 die Schulkindergärten in NRW abgeschafft wurden, sei eine gute Vorbereitung der Kita-Kinder auf die Schulzeit weggefallen. Sozialpädagogen hatten damals die Kinder auf die Grundschule vorbereitet und individuell gefördert.

Doch die wurden zugunsten der Einführung der Schuleingangsphase abgeschafft, in der Ende der 2. Klasse entschieden wird, ob ein Kind ein drittes Schuljahr in der Schuleingangsphase verbleibt. Die Kitas könnten heute die Bildungsarbeit und die Vorbereitung auf die Schule kaum leisten. Außerdem seien die Herausforderungen für die Grundschulen durch Personalmangel, marode Gebäude, Raumnot und den damit verbundenen viel zu großen Klassen kaum noch zu stemmen. "Die Schere zwischen denen, die fit sind und denen, die enorm viel Unterstützung brauchen, geht immer weiter auseinander", sagt Richard Voß von der GEW Wuppertal.

GEW fordert Reaktivierung der Schulkindergärten

"Wir stellen immer häufiger schon Kinder in der ersten Klasse zurück, weil sie  nicht mitkommen“, erklärt GEW-Sprecher Voß, der gleichzeitig eine Wuppertaler Grundschule leitet. Die Konsequenz: Die ersten Klassen werden immer voller - die individuelle Begleitung der Kinder sei kaum möglich. Und Bildungserfahrungen bei den Kindern, die ihnen ein Scheitern von der ersten Klasse an auf den Weg mitgeben.

Die Lösung könnte eine Reaktivierung der Schulkindergärten sein. "Da können die Kinder wirklich gefördert und vorbereitet werden, vor allem diejenigen, die zuhause nicht gut unterstützt werden können“, sagt Voß. "Aber dafür muss es einen politischen Willen geben - und der fehlt bisher.“

Quelle:
- Oberbergischer Kreis
- Stadt Remscheid
- Stadt Solingen
- GEW Wuppertal
- Rheinisch-Bergischer Kreis

Dramatische Ergebnisse bei Schuleingangsuntersuchungen

WDR Studios NRW 27.05.2024 00:45 Min. Verfügbar bis 27.05.2026 WDR Online


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