Zehn Jahre Human Brain Project: Was sind die Ergebnisse?
Stand: 12.09.2023, 18:41 Uhr
Am Dienstag und Mittwoch diskutieren Forschende die Ergebnisse des Human Brain Projects. Das Projekt startete 2013 startete im Forschungszentrum Jülich mit dem Ziel, das menschliche Gehirn am Computer nachzubauen. Es gilt als eines der ehrgeizigsten Forschungsvorhaben in Europa.
Von Helga Hermanns
Die Fakten sind beeindruckend: 500 Wissenschaftler von mehr als 150 Forschungseinrichtungen aus 19 europäischen Ländern. Budget: 607 Millionen Euro. Angetreten waren die Projektgründer mit dem Ziel, einen digitalen Zwilling des menschlichen Gehirns zu bauen.
Ziel nicht erreicht, aber viel Wissen gewonnen
Über das Ziel, das manche Neurowissenschaftler als nicht erreichbar bezeichneten, gab es schon ein Jahr nach dem Projektstart heftigen Streit. Nach einigen Schlichtungsgesprächen wurde das Human Brain Project mit neuem Führungspersonal fortgesetzt. Um es kurz zu sagen: Einen digitalen Computer-Zwilling gibt es nicht. Dennoch wurde in dem interdisziplinären Mammut-Projekt viel erreicht.
Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse ist der 3D-Hirnatlas, eine Art Google Maps für Hirnforscher. Federführend war dabei die Wissenschaftliche Leiterin des Human Brain Projects, Professorin Katrin Amunts. Sie ist Direktorin des Instituts für Hirnforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie des Instituts für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1) am Forschungszentrum Jülich.
3D-Atlas als Open Data
Mit ihrem Team analysierte sie den Aufbau menschlicher Gehirne, die Verstorbene der Wissenschaft zur Verfügung stellten. Dadurch konnten Gehirn-Areale so genau wie nie zuvor abgegrenzt, krankhafte Veränderungen festgestellt und feinste Verknüpfungen bis hin zu einzelnen Nervenzellen dokumentiert werden. Gewissermaßen ein Google Maps für die Hirnforschung.
Der 3D-Atlas kann über einen normalen Internet-Browser aufgerufen und von jedem genutzt werden.
Das eröffnet Wissenschaftlern in Europa und darüber hinaus ganz neue Möglichkeiten, beispielsweise in der Medizin. Forscher können jetzt die Hirnregionen abgrenzen, die bei Menschen mit Parkinson Veränderungen zeigen. Auch können durch die hochauflösenden 3D-Darstellungen Hirnoperationen präziser geplant werden.
Implantat für blinde Menschen
Das Human Brain Projekt hat aber auch in weiteren Forschungsfeldern Ergebnisse gebracht. So befasst sich ein Forscherteam mit der Frage, wie das Gehirn das Sehen verarbeitet. Ziel ist es, ein Implantat zu entwickeln, das blinden Menschen wieder zum Sehen verhelfen soll. Ein weiteres Feld ist der Strombedarf von Großrechnern. Könnten Sie so arbeiten wie das menschliche Gehirn, würde nur ein Bruchteil der jetzt benötigten Energie verbraucht. Weitere Felder sind die Alterung des Gehirns und die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz.
Bei der Konferenz in Jülich wird Bilanz gezogen. Die fällt bei den Verantwortlichen naturgemäß positiv aus. So heißt es in einer Broschüre zum Projektabschluss, es seien in den vergangenen zehn Jahren neue digitiale Forschungstechnologien mit einem hohen Nutzen für die Gesellschaft entwickelt worden, der Ansatz einer interdisziplinären Zusammenarbeit sei sehr erfolgreich gewesen.
Kritik an Kosten und Nutzen des Projekts
Aus den Reihen der Neurowissenschaftler gab es auch immer kritische Stimmen. Mehr als 600 Millionen Euro Forschungsgeld seien im Vergleich zu den erreichten Zielen nicht gerechtfertigt. Die wissenschaftliche Leiterin des Human Brain Projects ist dennoch überzeugt, dass die Arbeit der vergangenen zehn Jahre viele Fortschritte gebracht hat, zum Beispiel neue Erkenntnisse darüber, wie unser Gehirn tickt. Außerdem wurden neue Operations- oder Diagnosemethoden entwickelt.
Deshalb arbeiten die am europäischen Human Brain Projekt beteiligten Wissenschaftler auch an einem Papier, in dem die Visionen und Forschungsziele für die nächsten zehn Jahre formuliert werden. Ob und wie das Human Brain Projekt fortgesetzt wird, ist offen.