Belegschaftsversammlung bei Neapco: Angst um Jobs beim Dürener Autozulieferer

Stand: 04.05.2022, 15:30 Uhr

Ein Sarg auf einer Betriebsversammlung und der Rammstein-Song "Haifisch": Dramatisch haben Belegschaft und Gewerkschafter bei Neapco Alarm geschlagen für Industrieplätze.

Von Michael Esser

Offiziell war es eine Betriebsversammlung, tatsächlich eine Kundgebung unter freiem Himmel. Rund 500 nahmen teil. Fast die komplette Belegschaft, viele Arbeitnehmer und Vertreter anderer Betriebe, Gewerkschafter, Politiker, Kirchenleute. Gemeinsame Sorge: Im Strukturwandel der Region bleiben die Industriearbeitsplätze auf der Strecke. Und das, obwohl es bei jeder Rede über den Strukturwandel heißt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden müssen.

Kein Happen vom Milliarden-Kuchen

Bund und Land haben dafür 14,8 Milliarden Euro bis 2038 für den Strukturwandel zur Verfügung gestellt. Die Arbeitnehmer aber befürchten, dass davon kaum etwas bei ihnen ankommt. Neapco-Betriebsratsvorsitzender Jürgen Müller auf der Kundgebung: "Es hört sich zunächst einmal so an, dass die zur Verfügung stehenden 14,8 Milliarden die wegfallenden gut bezahlten tariflich geregelten Arbeitsplätze gut kompensieren. Wer sich aber mit den Richtlinien dieser Strukturmittel einmal auseinandersetzt, wird schnell merken, dass dies nicht so ist."

Tatsächlich wird derzeit kaum ein Projekt gefördert, das konkret Arbeitsplätze schafft. Am ehesten vielleicht noch die Umstellung beim Glas-Hersteller Saint-Gobain in Herzogenrath von Gas-Feuerung auf Wasserstoff, ein industrielles Modellprojekt.

Strukturförderung vor allem für Wissenschaft und Infrastruktur

Die allermeisten Förderzusagen gingen bislang für Projekte aus Wissenschaft, Forschung und Infrastruktur ein, etwa für Wasserstoff, Elektro-Mobilität oder Schienenprojekte. So stellte die RWTH Aachen am Tag der Betriebs-Demo fast zeitgleich ein "Center for Vertical Mobility" in Aldenhoven vor. Rund 100 Millionen Euro werden dort in einem ersten Schritt investiert, auch aus Strukturmitteln. Das Land hofft, dass der "Milliarden-Markt Drohnen" später auch zu einer Produktion in der Region führt. Nur: Solche Arbeitsplätze hängen in der Schwebe, für manche Gewerkschafter sind es gar Luftschlösser.

IG Metall: EU-Beihilferecht ändern

Ihre Kritik: Die Richtlinien für die Vergabe der Strukturhilfen lassen eine direkte Förderung von Unternehmen nicht zu. Das EU-Beihilferecht erlaubt solche Subventionen nur unter ganz strengen Ausnahmen. Für das Braunkohle-Revier gelten die bislang nicht. Der Grund: Obwohl mit dem Ausstieg aus der Braunkohle "idealerweise bis 2030" rund 10.000 Industrie-Arbeitsplätze unmittelbar verloren gehen – und viele weitere im Zuliefer- und Versorgungsbereich – gilt das Revier nicht als strukturschwach. Das wäre die Voraussetzung, damit auch Firmen-Investitionen gefördert werden.

Für Martin Peters, den 1. Bevollmächtigten der IG Metall Aachen-Düren, ist die Forderung klar: "Da erleben wir andere Länder in der EU, die da durchaus kreative Wege finden, ihre Industrie, ihre Unternehmen zu fördern. Wir erwarten das gleiche von Nordrhein-Westfalen, vom Bund für unsere Region, dass er das EU-Beihilferecht so anwendet, dass hier direkte Unternehmensförderung möglich ist." Falls nicht, drohe das Revier zum "Armenhaus" zu werden.

Konkurrenz vom Schwester-Werk

Die bisherige Rechtslage bringt gerade Neapco Düren in eine besondere Klemme. Der weltweite Mutterkonzern mit Sitz in den USA hat auch ein Werk in Polen. Die Region dort gilt als strukturschwach – das Werk in Praszka stellt wie das Dürener Antriebswellen und Differentiale für Autos her - es könnte gefördert werden, das Schwesterwerk in Düren nicht.

Hoffnungsprojekt Radnaben-Motor

Die konzerninterne Konkurrenz setzt die Arbeitsplätze in Düren weiter unter Druck. Hier werden auch innovative Produkte entwickelt, etwa ein Spezial-Differential für Elektromobile oder ein noch weitgehend geheimer Radnaben-Motor. Der US-Mutterkonzern könnte diese Teile auch in Polen oder anderswo auf der Welt fertigen lassen. Strukturmittel wären für das Dürener Standort eine echte Hilfe, diese Produkte zur Marktreife zu entwickeln, eine Anschubfinanzierung. Firmenleiter Jürgen Liermann: "Es ist diese Übergangsphase, die Launch-Phase, manche sagen auch das ‚Tal des Todes‘ - um das zu überwinden, da brauchen wir eine Hilfe. Da brauchen wir auch konzernintern eine Rechtfertigung, um gewisse Investitionen nach Deutschland zu geben." Für das Dürener Werk gilt nur noch bis 2026 eine Betriebsvereinbarung über die Sicherung von Arbeitsplätzen.

Gellende Pfiffe statt "Made in Germany"

Bei der Demo gellen die Pfiffe der Beschäftigten am lautesten, wenn die Redner ein Beispiel für fehlgeleitete Strukturhilfen anprangern: Millionen für ein Startup, das im Revier eine gute Idee entwickelt und zur Marktreife führt, dann aber von einem internationalen Investor aufgekauft wird und die Produktion später in kostengünstigeren Ländern erfolgt. Für die Gewerkschafter ist das Export von Arbeitsplätzen mit Hilfe des Steuerzahlers – auf Kosten von "Made in Germany".

Notfalls zu Fuß über die Autobahn

Die Anrainerkommunen rund um die Braunkohle-Tagebaue fordern schon lange, dass die "Beschäftigungswirksamkeit" bei der Fördervergabe höheren Stellenwert erhält. Die Landesregierung hatte das in einem "Reviervertrag" mit den Kommunen vor einem Jahr auch in Aussicht gestellt. Auf der Kundgebung forderte Dürens Bürgermeister Franz-Peter Ullrich allerdings erneut deutlichere Anstrengungen vom Land, die Industriearbeitsplätze zu erhalten und neue in der Region zu schaffen. Die Neapco-Belegschaft, die Gewerkschafter erwarten dazu baldige Antworten von der Politik. Beim jetzigen Tempo werde es Neapco in ein paar Jahren nicht mehr geben. Auch nach der Landtagswahl werde man deshalb keine Ruhe geben, kündigte Betriebsratsvorsitzender Jürgen Müller an: "Notfalls gehen wir zu Fuß über die Autobahn nach Düsseldorf."