Kölner Dom unter grauen Wolken

Missbrauchsprozess gegen Erzbistum Köln überraschend verlängert

Stand: 11.09.2024, 15:57 Uhr

Vor dem Landgericht Köln fordert ein Opfer sexualisierter Gewalt vom Erzbistum Köln Schmerzensgeld. Der Prozess wird verlängert.

Von Christina Zühlke und Markus Schmitz

Der Prozess um eine hohe Schmerzensgeldforderung gegen das Erzbistum Köln geht überraschend weiter. Eigentlich sollte nächste Woche ein Urteil verkündet werden, doch nun wollen die Richter mehr Aufklärung.

„Weiterhin schlaflose Nächte“

„Mein erster Gedanke war: Schon wieder eine Verzögerung und weiterhin schlaflose Nächte“. Das sagte Melanie F., die Klägerin, dem WDR, kurz nachdem sie den Gerichtsbescheid erhalten hat. Doch dann habe ihr Anwalt ihr erklärt, dass es sich positiv für sie auswirken könne, wenn der Richter sich intensiver mit dem Fall beschäftige.

Genehmigung durch Erzbischof

Sie war die Pflegetochter eines Priesters

Die Klägerin Melanie F.

Melanie F. hatte geklagt, weil sie als Jugendliche von einem Priester über Jahre schwer missbraucht wurde. Der Priester hatte Melanie in einem Pflegeheim in Bonn kennengelernt und sie und einen Jungen in seine Obhut genommen. Der damalige Erzbischof, Josepf Höffner, erteilte schließlich die offizielle Genehmigung, dass der junge Priester Pflegekinder haben dürfe.

Eine Auflage des Erzbistums, dass eine Haushälterin mit ins Pfarrhaus ziehen müsse, erfüllte der Missbrauchstäter nicht. Sie wurde vom Erzbistum nie kontrolliert. Der Täter, Pfarrer Ue. war im Frühjahr 2022 zu 12 Jahren Haft verurteilt wurden. Das Gericht stellte fest, dass er über 40 Jahre lang Mädchen missbraucht hatte.

Heimlich durchgeführte Abtreibung

Melanie F. trat damals als Zeugin auf. Die Taten gegen sie sind allerdings verjährt. Sie war das vermutlich erste Opfer, Anfang der 80er Jahre. Sie klagt nun gegen die Kirche als Institution. Das ist möglich, weil diese sogenannte Amtshaftung auch trotz einer Verjährung greifen kann.

Der Missbrauch an ihr ist unbestritten, der Täter hat ihn im Strafprozess vor dem Landgericht zugegeben. Die Taten gingen so weit, dass die Jugendliche einmal schwanger wurde und der Priester sie zum Frauenarzt brachte, der eine Abtreibung vornahm, ohne das Melanie F. klar war, was dort gerade geschah. Diese Abtreibung ist in der Klageschrift, die dem WDR vorliegt, einer der Hauptvorwürfe.

Missbrauchsprozess gegen Erzbistum Köln überraschend verlängert

Lokalzeit 11.09.2024 00:46 Min. Verfügbar bis 11.09.2026 WDR Online


Missbrauch Privatsache?

Am ersten Prozesstag hatte der Vorsitzende Richter allerdings darauf hingewiesen, dass das Gericht eine Schuld des Erzbistums eher nicht sehe. Der Priester habe die Missbrauchstaten als Pflegevater und nicht als Geistlicher verübt.

Insbesondere Kirchenrechtler hatten an dieser Sichtweise heftige Kritik geübt. Ihre Meinung: Ein Priester ist immer im Dienst und muss sich immer moralisch integer verhalten. Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke schrieb erst kürzlich in der FAZ, der damalige Erzbischof habe seine „Aufsichtspflicht über die klerikale Lebensführung wie zum Schutz des anvertrauten Kindes (…) grob fahrlässig verletzt und damit die Taten erst ermöglicht.“

„Gericht unter Druck“

Nach der jetzigen Entscheidung des Gerichts, mehr Aufklärung zuzulassen, sagte Lüdecke dem WDR: „Ich bin positiv überrascht und hoffe auf einen sensibleren und sachlich vertiefen Umgang mit dem Vorbringen der Klägerin.“ Die Position des Erzbistums Köln zum Fall der missbrauchten Pflegetochter nennt Lüdicke im WDR „abenteuerlich.“

Frau mit weißen Haaren im Gerichtssaal neben Anwälten in schwarzer Robe

Im Juli 2024 wurde der Prozess vertagt

Der Anwalt der Pflegetochter, Eberhard Luetjohann, sagte dem WDR: „Wir sehen, dass das Gericht erkannt hat, dass es nicht so leicht entscheiden kann ohne das Kirchenrecht zu berücksichtigen.“ Der Fall habe nun eine neue Dimension. „Das Gericht ist auch unter einem gewissen Druck,“ gibt Luetjohann zu Bedenken, „weil beispielsweise Arbeitsgerichte schon immer auch das Kirchenrecht berücksichtigt haben.“ Beispielsweise dann, wenn Mitarbeitende in der Kirche ihren Job verloren haben, weil sie sich nicht an die von der Kirche vorgeschriebene Lebensweise gehalten haben.

„Rastlosigkeit bleibt“

Das Gericht begründete seine Entscheidung mit einem Schreiben, das Melanie F. und ihre Anwälte nach dem ersten Verhandlungstag eingereicht hatten. Darin legen sie auf fast 30 Seiten erneut dar, warum das Erzbistum für die Taten des Priesters eine Mitverantwortung trägt. Als möglichen Zeugen benennen sie, unter anderem, den Berliner Erzbischof Heiner Koch, der gemeinsam mit dem Täter die Ausbildung zum Priester machte.

Der vorläufige Streitwert im Fall Melanie F. liegt laut Anwalt Luetjohann bei 850.000 Euro. 830.000 Euro davon sind Schmerzensgeld. Weitere 20.000 Euro seien sogenannter "materieller Vorbehalt für weitere Kosten", also etwa für Therapien. 70.000 Euro hatte Melanie F. bereits von der Kirche bekommen. Nach einer Entscheidung durch die umstrittene Entschädigungs-Kommission der deutschen Bischöfe UKA

In frühestens drei Wochen, so schätzt es Anwalt Luetjohann, wird es weitergehen. Bis dahin hat das Erzbistum Köln Zeit, sich zur jüngsten Entscheidung des Landgerichts zu äußern. Auf WDR-Anfrage schrieb das Erzbistum: „Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, bitten wir um Ihr Verständnis, dass wir uns aktuell hierzu nicht äußern können.“

Melanie F. sagt, sie will auch selbst noch weiter nach Hinweisen suchen, die beweisen, dass das Erzbistum vom Verhalten des Pflegevaters und Priesters gewusst haben muss. Die schlaflosen Nächte bleiben: „Schauen wir, wann die Rastlosigkeit endlich zum Ende kommt.“

Unsere Quellen: 

  • Sprecherin Landgericht Köln
  • Gespräche mit der Klägerin und ihrem Anwalt
  • Klageschrift
  • Replik-Schreiben
  • Kirchenrechtler
  • Schreiben des Gerichts an die Klägerin
  • Erzbistum Köln
  • Reporter vor Ort

Über das Thema berichtet der WDR am 11.09. auch in der Lokalzeit aus Köln im Radio auf WDR 2