Ein Arbeiter hebt im Gepäckverteiler des Flughafen Stuttgart einen Koffer von einem Gepäckband auf einen Gepäcktransportwagen.

Personalmangel an NRW-Flughäfen: Können Arbeitslose die offenen Stellen einfach besetzen?

Stand: 28.07.2022, 11:36 Uhr

An den NRW-Flughäfen fehlt Personal - und nicht nur dort. Gleichzeitig gibt es in NRW mehr als 650.000 Arbeitslose. Könnten sie nicht die freien Stellen besetzen?

Von Claudia Wiggenbröker

Selten dürften sich Reisende aus NRW so sehr vor ihrem Flug gesorgt haben wie dieser Tage: lange Warteschlangen, Chaos, verpasste Abflüge. Der Grund dafür: Es fehlt Personal.

Gerade in Branchen, die von Corona schwer getroffen wurden, mangelt es nun an Arbeitskräften. Also zum Beispiel im Flugbetrieb, in der Tourismusbranche, in der Gastronomie. Gleichzeitig gab es in NRW im Juni mehr als 650.000 Menschen, die arbeitslos gemeldet waren.

Chrupalla: Arbeitssuchende am Flughafen einsetzen

AfD-Chef Tino Chrupalla äußerte kürzlich im ARD-Interview die Idee, diese arbeitssuchenden Menschen dort einzusetzen, wo Personal gerade dringend gebraucht wird - wie zum Beispiel am Flughafen.

"Da wird ja wohl jemand dabei sein, der die Koffer aus dem Flugzeug aufs Band legen kann", so Chrupalla. Doch ist es wirklich so einfach, den Personalmangel zu beheben?

"Da wird ja wohl jemand dabei sein, der die Koffer aus dem Flugzeug aufs Band legen kann." Tino Chrupalla, AfD

IW-Studie: "Keine Reserven am Arbeitsmarkt"

Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln gibt es derzeit "mehrere tausend Beschäftigte weniger in Fluggast- und Flugzeugabfertigung - aber keine Reserven mehr am Arbeitsmarkt, um die Lücken zu füllen". Denn: Die Mitarbeitenden am Flughafen sind Fachkräfte.

Die Arbeitsagenturen in betroffenen Regionen würden natürlich versuchen, Personal für die Flughäfen zu gewinnen, erläutert Christian Ludwig von der Bundesagentur für Arbeit. Aber: "Es lässt sich nicht allgemein sagen, wie viele der arbeitslos gemeldeten Personen so einen Job von den Voraussetzungen her leisten können."

Nicht jeder erfüllt die Voraussetzungen

Generell gilt: Wer eine Tätigkeit am Flughafen annehmen möchte, braucht ein einwandfreies Führungszeugnis, gute Deutsch- und teils auch Englischkenntnisse. Hinzu kommen körperliche Voraussetzungen:

  • Um beispielsweise "Koffer aus dem Flugzeug aufs Band zu legen", muss man körperlich fit sein. 20 bis 25 Kilo müssen die Arbeitskräfte mehrfach am Tag heben können. Diese Voraussetzungen erfüllt nicht jeder.
  • Möchten Bewerber und Bewerberinnen als Luftsicherheitsassistent arbeiten - also das Gepäck bei der Sicherheitskontrolle checken - dürfen sie weder farbenblind sein noch eine Rot-Grün-Schwäche haben.

Praktisch kommen dann noch Einschränkungen wie die Verfügbarkeit hinzu: Möchte die Person in Teilzeit arbeiten, lässt sich der Job also mit der Famile vereinbaren? Wohnt die arbeitssuchende Person nah genug am Flughafen - und wenn nicht, ist ein Umzug zumutbar?

Einarbeitung braucht Zeit

Und auch wenn viele neue Mitarbeitende gefunden würden: Sie müssen qualifiziert und eingewiesen werden. Das kostet Zeit - und lindert den ganz akuten Personalmangel nicht. Daher hat die Regierung beschlossen, Flughafenmitarbeitende aus der Türkei anzuwerben. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg hatten türkische Gastarbeitende schließlich zum deutschen Wirtschaftswunder verholfen.

Red na aerodromu Köln/Bonn

Lange Warteschlangen am Flughafen Köln/Bonn Ende Juni

Die türkischen Arbeitenden bringen also einen entscheidenden Vorteil mit: Sie kennen die typischen Abläufe am Flughafen, ihre Einarbeitung dürfte daher kürzer ausfallen - auch, wenn es an Sprachkenntnissen teils mangeln mag.

Allerdings zeigen sich auch bei dieser Idee Fallstricke - sie ist offenbar schlicht nicht so einfach umsetzbar, wie WDR-Recherchen zeigen:

Kann man die Flughafen-Beschäftigten nicht zurückholen?

Während Corona, als der Flugverkehr zum Erliegen kam, hatten sich viele Flughafen-Beschäftigte andere Arbeitsstellen gesucht. Sie hatten aufgrund ihrer Erfahrungen in Kundenservice und Logistik "gute Chancen, in anderen Branchen unterzukommen", meinen die IW-Forschenden. Viele wären beispielsweise in den boomenden Online-Handel oder Zugverkehr gewechselt.

Das Bodenpersonal der Lufthansa streikt am Flughafen Hamburg.

Das Bodenpersonal der Lufthansa streikte

Könnten die Flughäfen diese Mitarbeitenden nicht zurückholen? Dafür müssten sich die Arbeitsbedingungen in der Branche ändern, sagen die Wissenschaftler. Um die Arbeitenden zurückzugewinnen, wäre eine "gesteigerte Attraktivität als Arbeitgeber im Vergleich zur Zeit von vor der Corona-Pandemie" vorausgesetzt.

Durch Corona ist die Situation in der Luftfahrtbranche zum "Bewerbermarkt" geworden, resümieren die IW-Forschenden. Es gibt also mehr offene Stellen als qualifizierte Fachkräfte - und Unternehmen müssen um das Personal buhlen.

Das schien nun auch das Bodenpersonal der Lufthansa so zu sehen. 20.000 Beschäftigte streikten bis Donnerstagmorgen für 9,5 Prozent mehr Lohn. Durch den Streik konnten mehr als 130.000 Menschen nicht so fliegen, wie sie es geplant hatten.

Vollbeschäftigung ist selten

Arbeitssuchende in dringend zu besetzende Stellen zu vermitteln klingt zwar simpel - in der Realität zeigen sich dabei aber einige Probleme. Und das ist normal - denn es ist auch normal, dass Menschen arbeitslos sind. Vollbeschäftigung ist ein historisch seltenes Phänomen.

"Arbeitslosigkeit ist ein grundlegendes Begleitelement der Arbeitsgesellschaft“, sagt zum Beispiel der Arbeitssoziologe Wolfgang Bonß. „Sie kann mal größer, mal kleiner sein, lässt sich aber kaum vermeiden."