Ein Beamter in Schutzkleidung führt in Peking einen PCR-Test durch

Virologe Stürmer: Null-Covid-Strategie kann Corona nicht vertreiben

Stand: 29.11.2022, 15:06 Uhr

China setzt weiterhin auf die Null-Covid-Strategie - und erntet Proteste. Was hat die Strategie gebracht im Umgang mit Corona? Im Interview sagt Virologe Martin Stürmer: Eine Lösung sei sie nicht.

Während man in Europa langsam wieder aus der Corona-Pandemie auftaucht, scheint es in China gerade in die andere Richtung zu gehen. Die Behörden melden täglich viele Neuinfektionen - zumindest für chinesische Verhältnisse. Denn eigentlich fährt das Land nach wie vor eine Null-Covid-Strategie. Ihren Protest dagegen bringen einige Menschen in China sogar auf die Straße. Ist die Null-Covid-Strategie gescheitert? Ein Interview mit dem Virologen Martin Stürmer, der in Frankfurt ein privates Medizinlabor leitet.

WDR: Wie erfolgreich war Chinas Null-Covid-Strategie bisher?

Martin Stürmer: Sicherlich hat diese Strategie dazu geführt, dass China insgesamt doch relativ niedrige Fallzahlen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung aufgewiesen hat. Es ist natürlich eine sehr restriktive Strategie. In unserem allerersten Lockdown hatten wir ja eine ähnliche Richtung eingeschlagen und massiv die Kontaktmöglichkeiten und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Das hat China mehr oder weniger über die ganze Zeit durchgezogen.

Aber auf Dauer ist es nicht die Lösung, um die Pandemie wirklich zu stoppen. Und ich bin mir ziemlich sicher: Den Erreger kann man mit solchen Möglichkeiten nicht aus der Welt schaffen.

WDR: Dass die Chinesen so radikal die Infektionsketten am Anfang unterbrochen haben, war das auch gut für uns, also auch weltweit?

Stürmer: China ist ja nicht gerade klein. Und die Bevölkerung ist viel unterwegs, auch geschäftlich. Natürlich ist klar: Wenn ich in einem Land das Infektionsgeschehen massiv unterdrücke und dafür sorge, dass nicht zu viel nach draußen schwappt, dann hilft das auch in einem gewissen Grade anderen Ländern. Aber natürlich beeinflusst das die Pandemie nicht in der Form, dass man sagen kann: China hat der Welt in großen Gefallen getan.

WDR: Warum steigen die Infektionszahlen in China wieder trotz dieser harten Politik?

Stürmer: Wir sehen massiv die Bürger auf die Straße gehen. Das ist für China sehr, sehr ungewöhnlich und zeigt, wie die Bevölkerung darunter leidet, im Prinzip schon seit Jahren in diesem Modus zu verharren. Die Maßnahmen funktionieren natürlich nur dann besonders gut, wenn alle Menschen mitziehen. Und ich glaube, da hat man den Bogen überspannt. Man sieht eben einfach, dass das Virus immer Möglichkeiten findet, auch solche wirklich sehr restriktiven Maßnahmen zu umgehen.

Außerdem ist es natürlich so, dass China auch mit der Omikron-Variante zu kämpfen hat. Solange man dort nicht den angepassten Impfstoff breitflächig nutzt, wird man auch dahingehend keine Möglichkeiten haben, die Pandemie oder die Infektionsketten aufhalten zu können.

WDR: Die derzeit vorherrschende Corona-Variante, Omikron, ist nicht mehr ganz so tödlich. Könnte man da in China nicht auf eine Herdenimmunität setzen?

Stürmer: China muss, glaube ich, einfach akzeptieren, was wir alle schon längst getan haben: Dass wir dieses Virus nicht wieder loswerden. Wenn man die Maßnahmen konsequent vorsichtig zurückführt, wird man auch das Gesundheitssystem in China nicht groß überlasten. Ich glaube, das wäre für alle Beteiligten gut und akzeptabel. Aber da muss die Regierung eben auch erst mal erkennen: So geht es nicht weiter, mit diesen Maßnahmen werden wir keinen langfristigen Erfolg haben, und die Menschen werden das auf Dauer nicht mehr mitmachen.

WDR: Als Virologe - und chinesische Virologen werden das auch wissen - müsste einem ja eigentlich klar sein, dass man eine Pandemie auf Dauer nicht wegsperren kann, oder?

Stürmer: Genau das ist es. Auch Deutschland hat ja mal versucht, mit einer Null-Covid-Strategie zu werben oder sie auch umzusetzen. Ich glaube, wir haben alle relativ schnell erkannt, dass das auch in unserem kleinen Land - im Vergleich zu China - nicht funktioniert. Wenn, dann hätte man das weltweit machen und dafür sorgen müssen, dass auch aus dem Tierreich keine Sars-CoV-2-Varianten mehr an uns Menschen übergehen. Dann hätte es vielleicht funktioniert - in der Theorie. Aber ich glaube, uns allen ist klar, dass wir keine acht Milliarden Menschen vier Wochen wegsperren können.

WDR: Was ist mit den Impfungen? China hat ja auch einen Impfstoff entwickelt.

Stürmer: Die Impfung an sich ist ja entwickelt worden, um schwere Verläufe und auch Todesfolgen signifikant zu reduzieren. Und dass wir am Anfang auch tatsächlich Infektionen vermehrt vermeiden konnten, war sozusagen ein Beiwerk. Das hat ja bis zur Delta-Variante funktioniert. Und dann kam Omikron. Diese Variante war ja in der Lage, nicht nur unser Immunsystem, sondern auch die Impfung massiv und effizient zu umgehen.

Jetzt haben wir den an BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff. Der wäre für China auch wieder ein Instrument, um Infektionen zu verhindern. Aber auch da muss allen klar sein: Mit einer puren Impfung werden wir ein solches Virus nicht ausrotten können. Das geht bei diesen Viren nicht. Das muss man einfach akzeptieren.

Das Interview führte Andrea Oster für das "Morgenecho" bei WDR5. Für die Verschriftlichung wurde es leicht angepasst.