Kommentar zur Twitter-Übernahme: Elon Musk hat den „Vogel befreit“

Stand: 28.10.2022, 11:09 Uhr

Elon Musk hat Twitter nun doch übernommen: Er hat einen medienwirksamen Auftritt hingelegt und gleich die Führungsriege gefeuert. Aber auch erhebliche Veränderungen angekündigt. Ein Kommentar von WDR-Digitalexperte Jörg Schieb.

Von Jörg Schieb

Ein filmreifer Auftritt als Machtdemonstration und für die bildersüchtige Medienwelt: Elon Musk betritt mit einem Waschbecken bewaffnet die Firmenzentrale von Twitter in San Francisco. Kein goldenes Waschbecken, das der neue Chef im „Chief Office“ haben will. Vielmehr ein Wortspiel: „Let that sink in!“. „Sink“ ist das englische Wort für Waschbecken. Der Spruch bedeutet aber auch: Gewöhnt Euch besser dran!

Elon Musk, der „Chief Twit“

Profilbild des Twitteraccounts von Elon Musk

Das Bild werden wir ganz sicher nicht mehr los. Punkt für Elon Musk. Bei der Eröffnung der „Gigafactory“ in Brandenburg, in der Teslas vom Band rollen sollen, hat er vor aller Öffentlichkeit ein Tänzchen aufs virtuelle Parkett gelegt. Auch dieses Bild bekommen wir immer wieder zu sehen.

Elon Musk will die Deutungshoheit, so viel ist klar. Der reichste Mann der Welt hat 110 Millionen Follower auf Twitter. Aber das reicht ihm nicht. Jetzt gehört im Twitter. Er ist jetzt der „Chief Twit“, wie in seinem Twitter-Profil steht. Schon wieder ein Wortspiel: „Chief Twit“, das klingt wie Chef von Twitter. „Twit“ bedeutet aber auch so viel wie „Trottel“. Er ist also Twitter-Chef und Chef-Trottel in einem.

Vermutlich zutreffend.

Twitter wird sich enorm verändern

Die Übernahme erfolgt nach wochenlangem Streit: Zuerst wollte er Twitter, dann doch nicht – jetzt aber dann doch wieder. Nicht aus Einsicht, sondern weil ein Rechtsstreit drohte, den er womöglich eh verloren hätte. Und das wäre noch teurer geworden.

Ein Twitterpost von Musk: "The Bird is freed."

Doch was erwartet die Twitter-Gemeinde? Auf jeden Fall Veränderungen. Jede Menge Veränderungen. Und das muss nicht schlecht sein, denn Twitter sieht heute noch (fast) genauso aus wie vor einigen Jahren. Alle Versuche, neue Dienste einzuführen (zuletzt eine Bezahlfunktion), sind kläglich gescheitert. Gleichzeitig haben sich Facebook, Youtube, Instagram und TikTok komplett verändert – und den Markt aufgeräumt.

Werbekunden werden umschmeichelt

Elon Musk ist unter Druck. Er hat 44 Milliarden Dollar für Twitter ausgegeben. Das muss sich rechnen. Irgendwie. Anderenfalls wäre das Image ramponiert. Elon Musk hat in einem offenen Brief an die Werbekundschaft schon angedeutet, wohin die Reise gehen soll: Twitter dürfe kein „Ort des Grauens“ werden, wo alle ohne Konsequenzen alles sagen dürfen, schreibt Musk beschwichtigend. Vielmehr müsse die Plattform „warm und einladend für alle sein“.

Ganz andere Worte als noch vor einigen Wochen. Da hatte Musk noch angekündigt, dass auf Twitter unbegrenzte Meinungs- und Redefreiheit herrschen soll. Donald Trump solle seinen Account wiederbekommen.

Jetzt verspricht Musk einen „Wohlfühlort“, wo keineswegs alles gesagt werden darf. Was eh klar ist: Auch in den USA und erst recht in Europa gibt es Gesetze, die ein ausuferndes Verständnis von Meinungsfreiheit sehr wohl einhegen. Nicht immer erfolgreich, aber doch erkennbar zunehmend.

Twitter-User werden künftig „durchleuchtet“

Ganz sicher wird sich Twitter schnell verändern. Elon Musk denkt gegen den Strich, hat ein gutes Näschen, probiert Dinge aus. Twitter wird zweifellos mehr Multimedia bekommen – das ist das, was die Menschen heute wollen.

Er hat aber auch angekündigt, dass die Werbekunden künftig zielgerichtete individualisierte Werbung auf Twitter ausspielen können. Das hören die Werbetreibenden gerne. Denn solche Werbung ist effektiver – und teurer.

Doch dafür müsste Musk die Nutzer auf Twitter besser durchleuchten – wie überall sonst auch: Interessen, Neigungen, Aufenthaltsort – wird zweifellos künftig alles registriert, gespeichert und ausgewertet. Anderenfalls ließe sich Musks Versprechen an die Werbekunden nicht einhalten.

Ob das allen langjährigen Freunden auf Twitter gefallen wird? Wohl eher nicht. Aber das gilt ganz generell. Denn es ist schon absonderlich, dass eine reiche Person einfach eine öffentliche Plattform kaufen und nach Belieben umgestalten kann.

Es ist eine Schwäche der Politik, das zuzulassen.

Über den Autor

Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte.

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb

Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.

Weitere Themen