Zwei Sichtweisen auf Lützerath: Ein Polizist und ein Demonstrant berichten
Stand: 19.01.2023, 19:58 Uhr
Im Braunkohledorf Lützerath haben sie sich vor wenigen Tagen gegenüber gestanden - Polizisten und Aktivisten. Mal haben sie friedlich nebeneinander agiert, mal standen sie sich wie Kriegsparteien gegenüber. Wie war das? Ein Polizisten und ein Demonstrant schildern ihre ganz persönlichen Erfahrungen.
Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier. Das Dorf, um das lange erbittert gestritten wurde, in dem am Ende Aktivisten Häuser besetzten, um für Klimawandel und gegen den Braunkohleabbau zu demonstrieren. Dann die schlagzeilenträchtige Räumung durch die Polizei. Und neben friedlichem Protest gab es dann auch hässliche Szenen von Gewalt. Wie haben beide Seiten die Eskalation vor Ort erlebt?
Ansichten eines Demonstranten
Demonstrant Marvin Vigoo
Marvin Vigoo war in Lützerath - auf der Seite der Protestler. Er sieht sich nicht als Aktivist, aber als jemand, der sich auf Demonstrationen für seine Überzeugungen einsetzt. Wie guckt er heute - mit etwas Abstand auf die Geschehnisse vor Ort?
"Ich gucke mit Bedenken, auf das, was sich entwickeln könnte mit der Polizei." Seiner Meinung nach wurde bei den Demonstrationen "unverhältnismäßig" viel Gewalt seitens der Polizei angewendet.
Marvin Vigoo erzählt, dass er an der Abbruchkante gestanden habe. Er habe auf das riesige Loch schauen wollen. Dann sei er mit anderen Demonstranten in einer Protestkette "zaghaft" auf den abgesperrten Ort Lützerath zugelaufen.
Steinewerfer hinter Menschenketten
Man habe Druck aufbauen und Aufmerksamkeit erzielen wollen. "Wir wollten Konfrontation, aber keine Gewalt." Dann habe die Polizei sich formiert und die Beamten seien schreiend in friedlich stehende Menschen gerannt.
"Irgendwann stand ich vorne und habe auch was abgekriegt." In der Menschenkette neben ihm habe ein junges Mädchen gestanden, erinnert sich Vigoo. "Und da hat der Polizeibeamte dreimal in Höhe ihres Gesichts geschlagen und erst beim dritten Mal hat er getroffen. Das war erschreckend." Es gebe doch andere Möglichkeiten, um eine Protestkette aufzuhalten.
Vigoo sei mehrfach an der Hand, Oberschenkel, Bauch und Rücken getroffen worden. "Ich kann das verstehen, wenn man einem bewaffnenden Mob entgegensteht, der randaliert. Aber von denen, die in der Reihe eingehakt waren, ging keine Gewalt aus." Die Gewalttätigen hätten hinter der Reihe gestanden und Steine geworfen.
Und warum habe man sich von aggressiven Steinewerfern nicht distanziert? "Man will sich die Leute nicht zum Feind machen", antwortet der Demonstrant. Man könne da nicht aktiv eingreifen. Das sei Aufgabe der Einsatzleiter.
Grundsätzlich aber sei die Polizei kein Feindbild, sagt Demonstrant Marvin Vigoo. Sie sei nur zu militärisch organisiert.
Ansichten eines Polizisten
Polizist Dennis Küll
Dennis Küll war ebenfalls vor Ort und als Polizist im Einsatz. Wie guckt er heute - mit etwas Abstand auf die Geschehnisse? Da muss der Polizist erst einmal differenzieren. Denn da sei einerseits der Klimaschutz und andererseits dieser Einsatz. "Ich bin Familienvater und ich habe meinen Kindern gegenüber die Verantwortung, ihnen ein lebenswertes Leben zu hinterlassen. Das Thema Klimaschutz ist immens wichtig. Wir müssen jetzt was tun."
Andererseits sei da aber dieser Einsatz in Lützerath. "Am Ende muss ich mich fragen: Was für ein Polizist möchte ich sein? Einer, der Recht und Gesetz durchsetzt - auch wenn es emotional mit mir nicht im Einklang ist - oder möchte ich ein Polizist sein, der nach seiner Meinung handelt?"
Er habe großen Respekt vor Menschen, die ihre Meinung vertreten. "Aber ich kann nicht zulassen, dass am Ende jemand mit Gewalt seine Meinung durchsetzen will." Das mache ihn wütend und diene der Sache nicht.
Wann beginnt die Gewalt?
Gewalt beginne, wenn Polizeiketten durchbrochen würden. "Ich drohe meine Zwangsmaßnahmen mehrmals lautstark an, aber irgendwann muss ich den Zwang einsetzen." Das sei das letzte Mittel, aber es sei manchmal auch der letzte Ausweg. "Kein Mensch will doch einen anderen verletzen."
In einer so dynamischen Situation wie in Lützerath sei es für Polizisten sehr schwierig, in Bruchteilen von Sekunden zu sehen, wer in einer Menschenkette einen Stein wirft und wer nicht. "Steine fliegen oft aus der zweiten Reihe." Und friedliche Demonstranten würden sich häufig nicht von Steinewerfern distanzieren. Gezielte Schläge auf den Kopf seien aber verboten.
Die Polizei habe Tage vor der Räumung schon Kommunikationsteams ins Camp geschickt, um Aktivisten zu erklären, was als Nächstes passiert, so erzählt Küll. Gleichzeiting habe er mit ansehen müssen, wie Barrikaden und Depots mit Pflastersteinen errichtet und an Hauswände "Alle Cops töten" geschmiert wurde. "Dann fährt man nach Hause und denkt an den Kollegen, den später dieser Stein treffen könnte."
Auch für den Polizisten Dennis Küll sind Aktivisten am Ende kein Feinbild, wie er versichert. Das sei ein großes Spektrum an Menschen. Nur gewaltbereite Aktivisten - die kriege man auch nicht mehr eingefangen.
Über dieses Thema berichtet der WDR auch am 19.01.2023 im Fernsehen in der Aktuellen Stunde.