Neue Windräder: Grüne stimmen gegen Abschaffung der 1.000-Meter-Regel

Stand: 01.03.2023, 14:34 Uhr

Vor einem Jahr waren die Grünen in der Opposition - und für die sofortige Abschaffung aller Mindestabstände. Das hat sich inzwischen geändert. Was ist passiert?

Von Tobias ZacherTobias Zacher

Es ist ein Lehrstück in politischem Pragmatismus: Die Grünen haben am Mittwoch die gemeinsame Regierungsmehrheit mit der CDU genutzt und in den beiden zuständigen Landtags-Ausschüssen gegen die sofortige Abschaffung der Tausend-Meter-Regel für neue Windräder gestimmt.

Das Streichen dieser umstrittenen Abstandsregel hatte die oppositionelle SPD mit einem aktuellen Gesetzentwurf angestrebt. Mit der Ablehnung durch CDU und Grüne im Bau- sowie im Wirtschaftsausschuss hat der SPD-Gesetzentwurf auch in der kommenden Abstimmung im Landtag keine Aussicht auf Annahme.

Grüne wollten nahezu identisches Gesetz vor einem Jahr

Nun ist es eine Selbstverständlichkeit im politischen Tagesgeschäft, dass die Regierungsfraktionen mit ihrer Mehrheit Anträge der Opposition ablehnen.

Lehrreich wird dieser spezielle Fall aber durch den Umstand, dass die inzwischen regierenden Grünen vor ziemlich genau einem Jahr selbst dringend umsetzen wollten, was sie jetzt ablehnen.

Damals reichten die Grünen - noch in der Opposition - gemeinsam mit der SPD einen Gesetzentwurf ein, der dem jetzigen der SPD in Sachen Mindestabstände nahezu aufs Wort gleicht. Vorgesehen war damals wie heute, Paragraph zwei im "Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuches" ersatzlos zu streichen. In ihm ist der Mindestabstand von 1.000 Metern festgeschrieben. 

Heutige Fraktionsvorsitzende verteidigte Vorhaben mit Verve

Wibke Brems, Co-Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/die Grünen

Wibke Brems (Grüne)

Das Ende der Abstandsregel forderte die damalige energiepolitische Sprecherin der Grünen, Wibke Brems, mit Verve: "Der 1.000-Meter-Mindestabstand für Windenergieanlagen muss fallen. Denn er verhindert den jetzt so dringend notwendigen, massiven Ausbau der Windenergie in NRW", erlärte sie im Frühjahr 2022. Das Streichen des Mindestabstands sei ein "kurzfristig möglicher und wichtiger Beitrag für eine deutlich beschleunigte Energiewende in NRW", betonte Brems damals. Heute ist sie Vorsitzende der Grünen-Regierungsfraktion.

Tausend-Meter-Regel bremst den Windkraft-Ausbau

Die Tausend-Meter-Abstandsregel ist seit ihrer Einführung heiß umstritten. CDU und FDP hatten sie im Juli 2021 ins Gesetz geschrieben - gegen den erbitterten Widerstand der damaligen Opposition aus SPD und Grünen.

Die Vorgabe bremst den Ausbau der Windenergie erheblich: Eine Studie des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) hat ergeben, dass auf einen Schlag 42 Prozent mehr Fläche für Windräder in NRW zur Verfügung stünde, wenn der Abstand von tausend auf 720 Meter verringert würde.

Grüne konnten sich gegen CDU nicht durchsetzen

Auf den ersten Blick ist die Abschaffung des Mindestabstands also ein politisch dankbares Vorhaben: Großer Effekt (plus 42 Prozent Fläche) gegen überschaubaren Aufwand (einen Paragraphen streichen). Doch CDU und FDP führten sie aus Überzeugung ein und hielten daran fest - um mehr Akzeptanz für Windräder bei der Bevölkerung zu schaffen, wie sie seinerzeit betonten.

Und die Grünen? Sie konnten sich nach der Landtagswahl 2022 in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU schlicht nicht durchsetzen mit ihrem Wunsch, die Tausend-Meter-Regel schnell zu streichen. Der Kompromiss sieht vor, sie nur schrittweise abuzschaffen - über mehrere Jahre, frühestens Mitte 2024.

SPD: "Endlich trauen, große Räder zu drehen"

Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Andre Stinka (SPD) redet zu den Abgeordneten.

Andre Stinka (SPD)

Die SPD kritisierte die Wandlung der Grünen in dieser Woche scharf: "Wenn die Landesregierung wirklich mehr Windräder will, muss sie sich endlich trauen, große Räder zu drehen", erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher André Stinka. Sein Parteikollege Justus Moor forderte "gerade von den Grünen", dass sie der Abschaffung der Tausend-Meter Abstandsregel im SPD-Entwurf zustimmen. "Zumindest haben sie das in der vergangenen Legislatur noch mit uns gefordert", betonte Moor.

Michael Röls

Michael Röls (Grüne)

Die Grünen rechtfertigten ihr Abstimmungsverhalten am Mittwoch: "Es ist kein Geheimnis, dass sich Grüne eine schnellere Abschaffung der pauschalen Mindestabstände für Windenergieanlagen gewünscht hätten", sagte Michael Röls, der energiepolitische Sprecher seiner Fraktion. "Aber der Kompromiss der schrittweisen Abschaffung ermöglicht es, dass wir schnell zu konkreten Fortschritten in NRW kommen. 1.000 Windräder bis zum Ende der Legislatur sind unser Ziel, daran lassen wir uns messen", unterstrich Röls.

Schwarz-grün verspricht 1.000 zusätzliche Windräder

Die Debatte spielt sich ab vor dem Hintergrund, dass Nordrhein-Westfalen innerhalb von 22 Jahren klimaneutral werden will. Der schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energien gilt dafür als dringend nötige Voraussetzung. Deshalb hat die aktuelle schwarz-grüne Landesregierung sich vorgenommen, bis 2027 1.000 zusätzliche Windräder aufzustellen.

Diesem Ziel hinkt sie aber deutlich hinterher: Im vergangenen Jahr sind in NRW nicht einmal halb so viele neue Windräder gebaut worden wie eigentlich nötig.

Aktuelle Zahl der Genehmigungen sorgt für Ernüchterung

Am Mittwoch kritisierte der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) die aktuellen Zahlen aus der Februar-Auktion für neu genehmigte Windräder als "absolut ernüchternd". Der Verband, der die Interessen der Erneuerbare-Energien-Wirtschaft vertritt, sieht angesichts des zögerlichen Windenergie-Ausbaus sogar die künftige Versorgungssicherheit gefährdet.

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