"Stärkungspakt NRW": Kommunen können auf Hilfe gegen Armut hoffen

Stand: 31.01.2023, 15:52 Uhr

Inflation und Energiekrise - die Armut in NRW wächst messbar. Auch viele Kommunen sind klamm - und sollen daher 150 Millionen Euro für Hilfsprojekte bekommen. Ob und wie das auch den Tafeln hilft, ist noch unklar.

Von Nina Magoley

Die Zahl der Menschen in NRW, "die jeden Euro umdrehen müssen", ist gestiegen. Nach Einschätzung von Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sind etwa drei Millionen Menschen hierzulande von Armut betroffen - in den Städten deutlich mehr als auf dem Land. Im Dezember 2022 hatte die Landesregierung auf der Konferenz gegen Armut daher einen "Stärkungspakt NRW – gemeinsam gegen Armut" angekündigt.

Geld könnte schon nächste Woche fließen

Rund 150 Millionen Euro sollen den Kommunen zur Verfügung stehen bei der Unterstützung von Menschen in sozialen Notlagen und für die nötige Infrastruktur. Jetzt soll das Geld fließen: Laut Sozialministerium sind die Bewilligungsbescheide an die 396 Städte und Gemeinden sowie 31 Landkreise gegangen.

Einige Kommunen könnten bereits in der nächsten Woche Geld bekommen, teilte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit. Es soll zum Beispiel an Tafeln, Wohnungsloseneinrichtungen oder Schuldnerberatungen fließen. Laut Sozialministerium könnten damit Miet- und Heizkosten, aber auch zusätzliches Personal oder Infomaterial bezahlt werden. Wofür konkret die Kommunen die Förderung verwenden, können sie selbst bestimmen - es muss allerdings nachweislich gegen Armut "zweckgebunden" sein.

Budget hängt von der Zahl der Bedürftigen ab

Wie viel Geld eine Kommune bekommen kann, hängt davon ab, wie viele Menschen dort Grundsicherung erhalten. Pro Person stehen so in den Städten 79 Euro zur Verfügung, in kreisangehörigen Städten und Gemeinden 63 Euro und in jedem Kreis 16 Euro. Das Ministerium rechnet vor: Eine Kommune mit 45.000 Einwohnern und einer Mindestsicherungsquote von 6,8 Prozent würde demnach Unterstützung in Höhe von 192.780 Euro bekommen.

Der Städte- und Gemeindebund NRW nennt diese Maßnahme "zielgenau und bedarfsgerecht", weil sie ohne großen bürokratischen Aufwand auskomme. Auch die FDP-Landtagsfraktion lobt auf WDR-Anfrage die "vorgesehene hohe Flexibilität bei der Verwendung der Mittel vor Ort", hätte sich aber "eine frühere Entscheidung gewünscht".

SPD: "Tropfen auf den heißen Stein"

150 Millionen Euro könnten "natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein", sagte für die SPD-Fraktion die sozialpolitische Sprecherin Lena Teschlade. Langfristig helfe den Menschen nur, "wenn sich die Landesregierung endlich auch für eine Stärkung sozialer Strukturen und eine stärkere Tarifbindung einsetzen würde".

Viele Kommunen wissen auf Nachfrage bislang noch nicht, wie viel Geld genau sie bekommen. In Dormagen sind es laut einer Sprecherin 286.000 Euro. Man führe jetzt Gespräche mit den Trägern der sozialen Infrastruktur - wie Tafel, Caritas, AWO, Verbraucherzentrale - darüber, wo das Geld am besten eingesetzt würde. Gelsenkirchen, mit einem hohen Anteil an Bedürftigen in der Bevölkerung, soll rund 4,4 Millionen Euro erhalten. Auch hier werde nun erörtert, wie das Geld am besten investiert wird, sagt Sozialdezernentin Andrea Henze. Man werde mit Trägern ins Gespräch gehen, wie bestehende Angebote vor allem im Kinder-, Jugend- und Sozialbereich unterstützt werden können. Die große Summe sei eine echte Hilfe, so Henze.

Tafeln hoffen auf Unterstützung

Hoffnung machen sich unter anderem die 173 Tafeln in NRW. Vor allem durch die zahlreichen Ukraine-Flüchtlinge sei die Zahl der Tafelkunden 2022 schlagartig von rund 350.000 auf 500.000 gestiegen, hatte Landesvorsitzende Evi Kannemann im Dezember gesagt. Zusätzlich seien in den vergangenen Monaten viele Menschen wegen der Inflation in Richtung Armut gerutscht.

Aufkleber 30 % billiger auf einer Packung Fleisch vom Discounter

Discounter bieten mehr Rabatte

Spannend wird für die Tafeln allerdings die Frage, in welcher Form sie von der Förderung profitieren könnten, wenn diese explizit an die Kommunen geht. Denn: Die Tafeln NRW arbeiten mittlerweile mit sieben zentralen Lagern, von denen aus Hilfspunkte in ganzen Regionen beliefert werden. Der Grund: Man sei mittlerweile auf Großspenden direkt von Herstellern angewiesen, sagt Kannemann - Discounter und Supermarktketten hätten nicht mehr so viele Lebensmittel übrig, da sie selber Rabattaktionen machen oder "Rettertüten" anbieten.

Tafel-Großlager beliefern ganze Regionen

Diese Großspenden werden mit Sattelschleppern an die sieben Großlager in NRW geliefert - in Coesfeld, Gütersloh, Dortmund, Köln, Siegen, Dormagen und Moers. Helfer müssen dort täglich tatkräftig LKW entladen, Lager füllen, es muss Miete, Strom und Heizung bezahlt werden. Bislang arbeite nur 2 bis 3 Prozent des Tafel-Personals bezahlt, der Rest sei ehrenamtlich, berichtet die Tafel-Chefin. Für diese Großlager und die dort gebrauchte "Manpower" seien aber fest entlohnte Kräfte nötig. Kannemann hatte daher schon im Dezember einen festen Posten im NRW-Landeshaushalt von rund 500.000 Euro pro Jahr gefordert.

Tafel: In einem Regal liegen mehrere Boxen mit Lebensmitteln

Tafel arbeitet mit Großlagern

Die Frage, die sie sich nun stelle: Wird die Tafel darauf hoffen müssen, dass die jeweiligen Kommunen, in denen die Großlager liegen, von dem Fördergeld, das ihnen jeweils zusteht, einen dickeren Batzen für die Tafel einplant? Wenn also beispielsweise vom Lager Gütersloh aus Tafeln in ganz OWL beliefert werden - müsste dann die Stadt Gütersloh das Tafel-Lager für ganz OWL unterstützen? Oder wird das Ministerium doch noch einen Sonderposten für die Tafeln einrichten? 

Brief an Laumann

Vom Verteilerzentrum Dortmund aus beispielsweise werden zwischen zwischen Essen und Unna insgesamt 25 Ausgabestellen der Tafel beliefert. Vom Kölner Lager gehen Lebensmittel an ganze 50 Kommunen zwischen Monschau und Lohmar. Auf Nachfrage, wie die Stadt Köln mit ihrem zu erwartenden Budget umgehen werde, heißt es von einer Sprecherin nur, der Bewilligungsbescheid sei eingegangen und müsse nun erst einmal geprüft werden.

Tafelchefin Kannemann hat in der Sache einen Brief an Sozialminister Laumann geschrieben, in dem sie um ein Gespräch bittet. Aus dem Ministerium ist dazu auf Anfrage am Dienstag noch nichts zu erfahren. Ein Sprecherin verweist aber auf die vom Land angebotene "Kältehilfe", über die in diesem Winter insgesamt 850.000 Euro für Hilfsprojekte abrufbar seien. Allerdings ist diese Förderung laut Ministerium für Schlafsäcke, Decken oder die Anmietung von Übernachtungsmöglichkeiten gedacht.

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