"Alarmstufe Rot - Krankenhäuser in Not" - der Appell klingt dramatisch: Viele Kliniken in Deutschland stehen vor scheinbar unlösbaren finanziellen Problemen. Mit bundesweiten Aktionen machen die Häuser am Dienstag auf ihre Misere aufmerksam. Auch viele Krankenhäuser in NRW beteiligen sich an dem Protest.
Es gibt Pressekonferenzen, Mitarbeitende tragen rote T-Shirts und rote Masken, das Johannes-Hospital in Dortmund wird am Abend rot angestrahlt.
Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft beträgt das addierte Defizit der Häuser allein in NRW bereits 1,6 Millarden Euro. Stündlich kämen 194.000 Euro dazu, so die DKG. Als "Defizit" zählen nach Angaben eines Sprechers auch einkalkulierte, aber nicht erzielte Erlöse - wie sie beispielsweise Krankenhäuser in privater Trägerschaft anstreben.
Krankenhausgesellschaft befürchtet Insolvenzwelle
"Wenn die Bundesregierung nicht schnell und wirksam eingreift, beschleunigt sie die sich bereits drehende Abwärtsspirale für die Krankenhäuser", sagt Ingo Morell, Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW). Für Anfang des nächsten Jahres rechne die Gesellschaft mit einer Insolvenzwelle.
Protest: Rote Hände vor einer Klinik in Duisburg
Er verweist auf den aktuellen Krankenhaus Rating Report, wonach vier von fünf Kliniken - 80 Prozent - im kommenden Jahr ein negatives Finanzergebnis erzielen werden. Viele Krankenhausträger müssten sich inzwischen mit dem Insolvenzrecht befassen, weil sie das erwartete Minus nicht mehr schultern können, warnt Morell. Es drohe ein "unkontrolliertes Kliniksterben".
"Im praktischen Leben" bedeute das aktuelle Defizit für die Krankenhäuser, dass sie derzeit ihre Reserven aufbrauchen müssten, um Gehälter und Rechnungen zu bezahlen, sagte Morell. Im Moment sei das noch möglich, es drohe in diesem Jahr aber ein Defizit alleine in NRW von 25 bis 30 Millionen Euro. Viele Häuser hätten mittlerweile Probleme, bei den Banken Kredite zu bekommen. Wenn Krankenhäuser aber insolvent werden, drohten Lücken in der Versorgung, warnte Morell.
Inflation nicht realistisch eingepreist
In finanzieller Schieflage befinden sich viele Kliniken schon seit Jahren. Verschärft habe sich das Problem jetzt allerdings durch die massive Inflation, so die DKG: Die Kostensteigerungen für Energie, Lebensmittel, Medizinprodukte oder auch Dienstleistungen seien im jetzigen Finanzierungssystem nicht einkalkuliert und würden nicht refinanziert. "Das bringt die Krankenhäuser immer mehr in eine Verschuldung."
Wurden so für 2022 nur 2,32 Prozent Kostensteigerung angenommen, lag die Inflation tatsächlich im Jahresdurchschnitt bei 6,9 Prozent. Dabei verbrauchen Krankenhäuser besonders viel Energie, dadurch stiegen hier die Kosten noch stärker als im Bundesdurchschnitt. Auch für 2023 rechnet die DKG eine Differenz zwischen der kalkulierten Kostensteigerung von 4,32 Prozent und der tatsächlichen Inflation vor, die Anfang des Jahres mit 8,7 Prozent doppelt so hoch war.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte am Dienstag, er könne "den Protesttag sehr gut verstehen". Die Krankenhäuser seien in einer Notlage, dieses Jahr werde es noch "einigermaßen funktionieren", aber das nächste Jahr werde sehr schwer.
SPD sieht Schuld bei Spahn und Gröhe
"Verantwortlich ist Lauterbach": DKGNW-Chef Ingo Morell
DKGNW-Chef Morell sieht vor allem Lauterbach in der Verantwortung für die Misere: "Der Ball liegt jetzt bei ihm", sagt er dem WDR. Die SPD-Fraktion im Landtag ist dagegen der Meinung, die Schieflage der Kliniken gehe vor allem auf das Konto der Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn und Hermann Gröhe (beide CDU). "Hätten sie die Situation der Kliniken nicht fortlaufend ignoriert, stünden die Krankenhäuser heute viel besser da."
Auch NRW-Gesundheitsminister Laumann stehe in der Verantwortung: Er stelle den Krankenhäusern mit 780 Millionen Euro "gerade mal die Hälfte der notwendigen Investitionen bereit", sagt Thorsten Klute, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW. Viele Träger investierten deshalb mittlerweile aus eigenen Mitteln, die dann an anderen Stellen fehlten.
Uniklinik Bonn feiert gute Bilanz
Offenbar sind aber nicht alle Kliniken in Finanznöten. So freute sich die Uniklinik Bonn vergangenen Woche in ihrer Jahresbilanz 2022 über ein "Spitzen-Ergebnis in Qualität und Wirtschaftlichkeit". Selbst im dritten Corona-Jahr habe die Klinik mit einem Plus von 21 Millionen Euro abgeschlossen, jetzt seien weitere Investitionen geplant, hieß es in einer Meldung.
Auch die Krankenkassen äußern sich moderater: "Aktuell sehen wir keine Insolvenzwelle", sagte die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann. Dennoch reiche es nicht, "einfach immer mehr Geld in die bestehenden Strukturen zu pumpen und den Erhalt des Status quo zu finanzieren".
Krankenhausreform soll es richten
Wie aber lässt sich dieses Dilemma künftig lösen? Bundesgesundheitsminister Lauterbach betonte am Dienstag, es werde "mit Hochdruck an der Krankenhausreform gearbeitet, um das Kliniksterben aufzuhalten". Doch auch die Krankenhausreform ist mittlerweile ein Streitthema. Lauterbach will noch in diesem Sommer einen Gesetzentwurf dafür entwickeln, der dann schon Anfang 2024 in Kraft treten soll.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) dagegen hatte eigentlich eigene Pläne. Bereits seit 2018 arbeitet er in NRW an einer eigenen Krankenhausreform, im August vergangenen Jahres hatte Laumann seinen Fahrplan vorgestellt. Dabei geht es vor allem um die Aspekte Finanzierung, Qualifizierung und die Sicherung einer flächendeckenden Versorgung.
Als Lauterbach dann aber deutlich machte, dass Reformen von der Bundesebene ausgehen würden, war Laumann Anfang dieses Jahres auf offenen Konfrontationskurs zum Bundesgesundheitsminister gegangen. Laumann ist der Meinung, dass Krankenhausplanung Ländersache sei.
Anfang Juni hatte sich der Konflikt nach einem Treffen zwischen Lauterbach und den Gesundheitsministern der Länder schließlich etwas entschärft. Lauterbach versprach den Ländern, sie bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs zu beteiligen.