Angebliche Auflösung der "Sittenpolizei": Wie geht es im Iran weiter?

Stand: 05.12.2022, 15:40 Uhr

Im Iran stehen sich Regime und Protestierende weiter unversöhnlich gegenüber. Daran hat auch die Ankündigung nichts geändert, die "Sittenpolizei" aufzulösen. Wie geht es jetzt weiter?

Von Jörn Kießler

Die Proteste im Iran gehen unvermindert weiter. Daran hat auch die Ankündigung des Generalstaatsanwalts Mohammed-Dschafar Montaseri nichts geändert, der am Wochenende davon sprach, die sogenannte "Sittenpolizei" aufzulösen. Den Menschen, die seit fast drei Monaten auf die Straße gehen, reicht diese Ankündigung nicht. Auch, weil damit nicht das Ende von Kontrollen einhergehen würde.

Ende der Sittenpolizei offenbar Falschmeldung

Bei der Ankündigung am Samstag habe der iranische Generalstaatsanwalt "im gleichen Atemzug gesagt, dass die Kontrollen weitergehen, weil die Zwangsverschleierung wichtig ist für das Land", sagte die iranischstämmige Journalistin und Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi im Gespräch mit dem WDR. Darüber hinaus seien im Laufe des Sonntags schon Dementi von Regierungsstellen gekommen, dass diese Polizei aufgelöst werden solle.

Ähnlich bewertet die deutsche Bundesregierung die Ankündigung aus Teheran. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes wies darauf hin, dass der Generalstaatsanwalt die Sittenpolizei nicht selbst auflösen könne. Eine offizielle Bestätigung für einen solchen Schritt sei ihr bisher nicht bekannt.

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Auch der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad, der unter anderem für die Freie Universität Berlin arbeitet, bewertet die Ankündigung als "Beschwichtigungs- und Ablenkungstaktik", wie er auf Twitter schreibt. Ein Grund dafür könnte seiner Meinung nach sein, dass das Regime versuche, seinen Sicherheitskräften eine "Durchschnauf-Pause von den Straßenkontrollen" zum Kopftuchzwang zu ermöglichen.

Ziel der Demonstranten: Das Regime stürzen

Gilda Sahebi

Gilda Sahebi

"So unter Druck, so unter Bedrängnis war dieses Regime noch nie", sagte auch Sahebi. "Das heißt natürlich, dass sie tun, was sie können." Doch solche Ankündigungen dürfe man nicht ernst nehmen, denn das Regime sei "keinesfalls veränderbar und auch nicht reformfähig".

"Das einzige Ziel - seit nun fast schon drei Monaten - ist der komplette Sturz dieses Regimes. Weil mit diesen Menschen an der Spitze gibt es eben keine Veränderung." Gilda Sahebi, Journalistin und Politikwissenschaftlerin

Dass die iranischen Machthaber große Zugeständnisse an die Demonstranten machen oder gar abdanken, hält der Politologe und Islamwissenschaftler Michael Lüders jedoch für unwahrscheinlich. "Ich glaube, da sind wir noch weit von entfernt, dass das politische System im Iran am Ende sein könnte", sagte Lüders im Deutschlandfunk.

Islamwissenschaftler: "Dem Iran droht ein Bürgerkrieg"

So werde die Regierung beispielsweise noch immer vom Großen Basar in Teheran und der Schwer- und Ölindustrie im Land unterstützt, die beide große wirtschaftliche Macht haben. "Dort haben sich die Arbeiter bislang nicht an den Protestbewegungen beteiligt", sagte der Politologe.

Michael Lüders

Michael Lüders

Zudem spiele auch die geopolitische Lage bei dem Konflikt im Iran eine wichtige Rolle. "Russland und China sind eng an der Seite Irans", sagte Lüders. Und weder in Peking noch in Moskau werde man zulassen, dass es eine Neuordnung der politischen Verhältnisse gebe.

"Wenn die Systemfrage gestellt wird von Seiten der Demonstrierenden, dann wird es gefährlich. Denn die Systemfrage wird natürlich beantwortet werden, von denen, die die Macht haben." Michael Lüders, Politologe und Islamwissenschaftler im DLF

Lüders geht davon aus, dass die Regierung dann mit aller Härte und Brutalität gegen die Demonstranten vorgehen werde. Wenn sich dann noch Teile der Sicherheitskräfte auf die Seite der Protestierenden schlagen würden, rechnet Lüders sogar damit, dass dem Iran ein Bürgerkrieg ähnlich wie in Syrien droht. "Und ich bin mir nicht sicher, dass die Iraner so etwas ernsthaft wollen", sagte Lüders.

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