Impuls-Kolumne Robert Habeck

Die Grünen müssen eine Volkspartei werden! | MEINUNG

Stand: 01.10.2024, 06:00 Uhr

Robert Habeck will die Grünen wieder attraktiv machen. Nur mit welchen Inhalten? Verbissen grüne Ideologien durchsetzen, bringt keine Wähler, sagt unser Kolumnist Ralph Sina.

Von Ralph Sina

Kommentieren

Bis zur Bundestagswahl 2025 haben die Grünen viel zu tun! Mit dem Rücktritt der Grünenspitze Ricarda Lang und Omid Nouripour hat der Wahlkampf bereits begonnen. Neue Gesichter müssen her - und auch eine neue Erzählung. Wie sieht die Vision des möglichen zukünftigen Kanzlerkandidaten Habeck aus?

Alice Weidel hält eine Rede auf dem 15. Bundesparteitag der AfD

Alice Weidel soll AfD-Kanzlerkandidatin werden

Österreich und der Wahlsieg der von ehemaligen SS-Offizieren gegründeten FPÖ sind eine Warnung für das, was auch in Deutschland möglich ist: Zum ersten Mal tritt die AfD mit einer Kanzlerkandidatin an.

Schaut man sich die Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an, wird die Frage umso wichtiger: Wer kann mit wem? Welche Koalitionen sind in Zukunft ohne die rechtsextreme Höcke-AfD und ohne das stalinistische BSW möglich? Und da sind wir bei den Grünen. Und vor allem bei ihrem möglichen zukünftigen Kanzlerkandidaten Robert Habeck - dem mittlerweile einzigen Hoffnungsträger.

Trotz ihres desaströsen Abschneidens im Osten und einer gesamtdeutschen Zustimmung von gerade mal 11 Prozent, rechnen sich die Grünen mit Habeck bei der kommenden Bundestagswahl Chancen aus, auch aufs Kanzleramt. De facto auf eine Schwarz-Grüne Koalition. Beim ARD Deutschlandtrend von infratest dimap waren im September 31 Prozent mit Friedrich Merz "sehr zufrieden" oder "zufrieden", Habeck kommt auf 27 Prozent. Kanzler Scholz kam dagegen nur auf 18 Prozent.

Nachdem sich Habeck der unbeliebten Grünen-Bundesvorsitzenden Lang und Nouripour entledigt hat, lautet jetzt die entscheidende Frage: Können die Grünen Volkspartei? Wird das zukünftige "Bündnis Robert Habeck" so 'realo', dass Merz und Söder nicht an ihm als Koalitionspartner vorbeikommen? Und wofür stehen die Grünen dann noch?

Auf Landesebene funktioniert's

Die Beispiele NRW und Schleswig-Holstein zeigen: Die CDU kann mit den Grünen, wenn sie wie die Ministerpräsidenten Wüst und Günther will. Selbst Habeck-Kritiker Friedrich Merz hat jetzt beim CDU-Landesparteitag in Münster Schwarz-Grün in NRW gelobt. "Du zeigst, wie gutes Regieren geht - auch mit den Grünen", rief Merz Hendrik Wüst am Samstag in der Halle Münsterland zu und nahm den NRW-Ministerpräsidenten damit indirekt vor Markus Söder in Schutz, der Wüst in einem Interview eine zu große Nähe zu den Grünen nachgesagt hatte.

Dass die Grünen auch Ministerpräsident können, beweisen sie im wirtschaftlichen Powerhaus Baden-Württemberg: Seit 2011 stellen sie mit Winfried Kretschmann den ersten grünen und hochrespektierten Ministerpräsidenten der Bundesrepublik. Winfried Kretschmann stand als junger Mann für den "kommunistischen Bund Westdeutschlands" KBW vor den Werkstoren und versuchte verzweifelt, die Arbeiterklasse für kommunistische Kampfschriften zu begeistern. Kretschmann durfte wegen seiner radikalen politischen Pubertät zunächst nur Biologielehrer an einem Institut zur Ausbildung von Kosmetikerinnen werden. Seine faszinierende Biographie zeigt aber, welche persönliche Entwicklung möglich ist.

Habeck hat im Gegensatz zu Kretschmann nie kommunistische Propaganda verfasst, sondern Kinderbücher. Dennoch ist mein Respekt vor dem authentischen und selbstkritischen Ministerpräsidenten aus Stuttgart deutlich größer. Kretschmann hat es geschafft und die Grünen im Auto-Ländle BaWü zur Volkspartei gemacht. Ob das Robert Habeck im Bund gelingt, ist eine völlig offene Frage.

Kann Habeck Volkspartei?

Mit seinem dilettantisch präsentierten Heizungsgesetz haben sich Habeck und die Grünen gleich zweifach negativ im Gedächtnis vieler Wähler und Wählerinnen eingebrannt: als moralisierende Verbotspartei, die den Staat als Besserungsanstalt betrachten. Und der Wirtschaftsminister als fachliche Niete.

Ausgerechnet unter dem "Wärmepumpen-Minister" Habeck brach die Nachfrage ein: Nur noch 7.400 Förderanträge wurden im vergangenen Jahr bewilligt. Betroffen von dem Rückgang sind Firmen, wie Viessmann mit ihren Niederlassungen in Herford, Castrop-Rauxel und Düsseldorf und Vaillant Deutschland in Remscheid. Eine Sprecherin des Wärmepumpenherstellers Bosch benannte als Grund die Unklarheiten um Habecks Gebäudeenergiegesetz.

Unklare Regelungen bei Fördervoraussetzungen, Schwierigkeiten und Verzögerungen in der Förderpraxis und ein eher sprunghafter Umgang mit der Bereitstellung von Fördermitteln, seien nur einige der Probleme schreibt NDR-Kollege Nicolas Peerenboom bei tagesschau.de

Habeck hat es in seinen drei Jahren als Wirtschaftsminister nicht nur geschafft, viele Hausbesitzer gegen sich aufzubringen, sondern ausgerechnet auch die Fans von E-Autos. Indem er nämlich deren Förderung im Herbst vergangenen Jahres für private Käufer ganz plötzlich mit sofortiger Wirkung einstellte. Immerhin ging es um bis zu 4.000 Euro.

Ein Bekannter von mir und bis dahin erklärter Habeck-Sympathisant aus Essen hatte zu diesem Zeitpunkt, in der Hoffnung auf die Förderung, einen E-Golf gekauft, aber noch nicht zugelassen. Plötzlich klaffte auf seinem Konto eine 'Finanzierungslücke' von mehreren tausend Euro. So wie ihm ging es vielen.

Kein Wunder, dass ihr Vertrauen in den Bundeswirtschaftsminister gelitten hat. Der größte Anteil an Neuzulassungen fällt nach wie vor auf Benziner. Selbst Diesel sind immer noch beliebter als E-Autos.

Ist Habeck noch glaubwürdig?

Doch nicht nur seine Altlasten "Heizungsgesetz" und der plötzliche Wegfall der E-Auto-Prämie können im kommenden Bundestags-Wahlkampf für Habeck zum Bumerang werden. Sondern auch die Frage: Wie hält es der grüne Möchtegern-Kanzler mit der Wahrheit?

Wir erinnern uns: Mitten in der Energiekrise 2022/23 gingen die drei letzten deutschen Kernkraftwerke vom Netz. Sie zählten zu den sichersten und zuverlässigsten der Welt. Doch um buchstäblich jeden wirtschaftlichen und ökologischen Preis wollte Habecks Ministerium den Weiterbetrieb der AKW verhindern. Obwohl sich die eigenen Fachleute für eine Laufzeitverlängerung aussprachen.

Wie war das möglich? Weil Habeck grüne Anti-AKW-Ideologie wichtiger war als ergebnisoffene Prüfungen? Hat der grüne Vizekanzler die deutsche Öffentlichkeit getäuscht? Der Untersuchungsausschuss zum Atomeinstieg: Habeck behauptete, er sei von den AKW-Betreibern selbst zum Ausstieg gedrängt worden. Der Essener E.ON-Konzern bezichtigte den Wirtschaftsminister daraufhin umgehend der Unwahrheit. E.ON wörtlich: "Wir haben in der gesamten Debatte klargemacht, dass wir einen Weiterbetrieb des Kraftwerks technisch und logistisch ermöglichen könnten, sofern die Bundesregierung dies wünscht."

Habeck muss Scheuklappen ablegen

Zum Beispiel wenn es darum geht, ob ThyssenKrupp in Duisburg zur Produktion von grünem Stahl auch den deutlich kostengünstigeren blauen Wasserstoff nutzen darf. Beim letzten Stahl-Gipfel in Duisburg gab sich Habeck noch den stahlharten Ideologen: Auf keinen Fall! Nur grüner Wasserstoff sei politisch korrekter Wasserstoff!

Vielleicht kann ja der Grünen-erprobte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst dem Kanzlerkandidaten in spe in diesem Punkt etwas Nachhilfeunterricht geben. Laut einer Studie des Bochumer Professors Graham Weale ist nämlich der von Habeck einseitig favorisierte grüne Wasserstoff für die NRW-Industrie überhaupt nicht zu bezahlbaren Preisen verfügbar.

Ganz anders der blaue Wasserstoff, bereits jetzt ein entscheidender Energieträger in Norwegen und den USA. Mit ihm kann man pro investiertem Euro mehr CO2 einsparen als mit grünem Wasserstoff. Jedenfalls wenn man das CO2 im Prozess abtrennt und zum Beispiel unterirdisch speichert. Für diese Art der Speicherung ist der Realo Habeck ja durchaus zu haben.

Roberts langer Weg zum Realo

Auf dem Weg zur grünen Volkspartei hat der Robert also noch einen beachtlichen Weg vor sich. Vielleicht kann ihn die schwarz-grüne NRW-Kombi Hendrik Wüst und Mona Neubaur dabei inspirieren. Letztere ist im Gegensatz zu Habeck sogar bei NRW-Wirtschaftskapitänen beliebt. Die Habeck-Vertraute und potenzielle zukünftige Bundesparteivorsitzende Franziska Brandner hat es im ZDF auf den Punkt gebracht: "Wenn verantwortungsvolle CDU-ler mit Grünen regieren, können sie unheimlich viel hinbekommen".

Was denkt ihr, haben die Grünen noch eine Chance? Lasst uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

Noch keine Kommentare