Warum hängt der Strompreis vom Gaspreis ab?

Stand: 27.08.2022, 16:00 Uhr

Nicht nur die Gaspreise steigen rasant. Auch Strom wird immer noch teurer - denn beide Preise sind aneinander gekoppelt. Grund ist eine umstrittene Regel am Strommarkt: die sogenannte Merit-Order.

Von Nina Magoley

Die Furcht vor ausbleibenden Gas-Lieferungen aus Russland treibt den Gaspreis in Deutschland immer weiter nach oben. Und mit den Gaspreisen steigen auch die Strompreise. Dabei ist Strom jetzt schon so teuer wie nie - allein im vergangenen Monat stieg der Preis für Privatkunden um mehr als 30 Prozent.

Warum ist der Strompreis an den Gaspreis gekoppelt?

Das liegt an der sogenannten Merit-Order - einer Regel, die die Reihenfolge bestimmt, in der Kraftwerke an der Strombörse anbieten können. Kraftwerke, die billig Strom produzieren, kommen zuerst an die Reihe, um die Nachfrage zu decken. Dazu gehören zum Beispiel Windkraftanlagen. Der Strompreis richtet sich aber schließlich nach dem zuletzt geschalteten und damit teuersten Kraftwerk. Zurzeit sind das - wegen der hohen Gaspreise - die Gaskraftwerke. Dadurch sind auch die Strompreise deutlich gestiegen.

Die Hälfte des bislang in diesem Jahr erzeugten Stroms in Deutschland kam nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) aus Erneuerbaren Energien - Sonne, Wasser, Wind, Biomasse. Die Hersteller bekamen also Rohstoffe praktisch zum Nulltarif - und machten Dank der Merit-Order ordentlich Gewinn. Gleichzeitig kamen nur 14 Prozent des Stroms aus Gaskraftwerken - der laut Bundeswirtschaftsministerium teuersten Art der Stromproduktion. Trotzdem: "Über die Merit-Order setzen sie aber den Strompreis für alle Kraftwerke", schreibt das ISE:

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Was an diesem Punkt absurd oder ungerecht klingt, gilt vielen Experten aber dennoch als legitimer Anreiz für die Energiebranche, auf Erneuerbare zu setzen. Dennoch wird über die Merit-Order derzeit scharf diskutiert.

Wird der Strompreis weiter ansteigen?

Ja, so gut wie alle Experten gehen davon aus. Zwar fällt seit 1. Juli die EEG-Umlage als Bestandteil des Strompreises weg. Nach Berechnungen der Bundesregierung bedeutet das für eine vierköpfige Familie eine Ersparnis von bis zu 300 Euro im Jahr. Dadurch, dass der Strompreis aber - unter anderem wegen des Gaspreises - durch die Decke geht, ist diese Entlastung längst verpufft.

Rund die Hälfte des deutschen Stroms wird aus Erneuerbaren produziert. Die andere Hälfte aber aus fossilen Quellen - bislang auch aus russischem Gas, das nun wegfällt. Das sorgt für weiteren Druck auf den Strommarkt.

Gut die Hälfte des Strompreises besteht aus Steuern - darunter auch die Mehrwertsteuer -, Umlagen und Abgaben. Etwa 25 Prozent entfallen auf Netzentgelte, die an die Netzbetreiber gehen. 22,9 Prozent vom Strompreis sollen den Einkauf, Service und Vertrieb des Energieanbieters decken. Hier haben die Anbieter den größten Spielraum, um den Endpreis für die Verbraucher festzulegen.

Was plant der Bundeswirtschaftsminister?

Sein Ziel sei, die Entwicklung der Endkundenpreise für Strom vom steigenden Gaspreis zu entkoppeln, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangenen Freitag. Verbraucher und auch die Industrie müssten deutlicher davon profitieren, dass Erneuerbare Energien so günstig produziert werden. Bisher erzielten Kraftwerke, die sehr geringe Produktionskosten haben, "übermäßige Gewinne", die an die Endkunden weitergegeben werden sollten, hieß es aus dem Ministerium.

"Das wird aber auf die Schnelle alles nicht umsetzbar sein", sagt WDR-Wirtschaftsexpertin Ute Schyns. Schließlich gebe es in der EU einen gemeinsamen Strommarkt, Deutschland exportiere in andere Länder und umgekehrt. "Alles, was wir hier verändern, hat Auswirkungen auf die anderen Länder", gibt Schyns zu bedenken. Außerdem: "Ein Anreiz, in die Erneuerbaren Energien zu investieren, muss unbedingt bestehen bleiben."

Schon im Herbst vergangenen Jahres hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Untersuchung angekündigt, wie sich der Preis für Strom von den Gaspreisen entkoppeln lässt. 

Dann gab' s doch noch die Ölpreisbindung?

Auch diese ungeschriebene Regel bestimmt die Preise, die Verbraucher auf ihren Gasrechnungen wiederfinden. Traditionell ist der Preis für Gas nämlich wiederum an den Ölpreis gekoppelt. Energieversorger, wie zum Beispiel Erdgasproduzenten und -importeure, orientierten sich bei der Festlegung ihrer Gaspreise teilweise am Ölpreis. Wird Erdöl teurer, steigt zeitverzögert auch der Gaspreis - und umgekehrt sinkt er analog. Diese sogenannte Ölpreisbindung ist aber kein Gesetz, sondern einfach eine privatwirtschaftliche Vereinbarung unter Erdgasproduzenten, -importeuren und -versorgern.

Sie wurde in den 1960er Jahren eingeführt, als man anfing, Gas zu fördern. Die Koppelung an den Ölpreis sollte den Gaspreis stabil halten und für die Energieunternehmen größere Investitionen - Förderanlagen oder Pipelines - planbar machen. Außerdem waren es häufig Erdölfirmen, die jetzt plötzlich auch Gas förderten und verkauften. Sie wollten Konkurrenz zwischen ihren eigenen Produkten vermeiden.

2010 erklärte der Bundesgerichtshof diese scheinbare Klausel für ungültig: Der Gaspreis dürfe nicht allein ans Öl gebunden sein, er solle sich vor allem aus dem Wettbewerb zwischen den Anbietern ergeben. Seitdem kamen immer mehr günstige Gasanbieter auf den Markt. Dennoch ist der Wert des Öls nach wie vor entscheidende für den Preis für Gas.

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