In den vom Erdbeben betroffenen Provinzen Turkiye liegen Spielzeuge inmitten von Trümmern eingestürzter Gebäude

Erdbeben in der Türkei: Auch nach sechs Monaten fehlt es an allem

Stand: 05.08.2023, 09:32 Uhr

Wie sieht es in der Türkei ein halbes Jahr nach dem verheerenden Erdbeben vom 6. Februar aus? Ein Interview mit Sarah Easter, Nothelferin bei CARE.

Sechs Monate nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Nordsyrien ist die Lage in den stark betroffenen Gebieten immer noch kritisch. Nothelferin Sarah Easter von der Hilfsorganisation CARE ist gerade durch die türkische Provinz Hatay gereist. Sie berichtet im WDR 5 Morgenecho von extrem schwierigen Lebensbedingungen der Menschen in Zelten und Notunterkünften. Die Überlebenden bräuchten dringend auch psychologische Hilfe.

WDR: Ist man in Hatay noch in der Phase des Räumens von Schutt und des Bergens von Leichen? Läuft die Nothilfe für Überlebende noch?

Sarah Easter: Wir sind immer noch dabei, Nothilfe zu leisten. Es ist ja die Region, die am stärksten vom Erdbeben betroffen war. Wenn man durch Hatay fährt, sind viele Städte dort komplett zerstört. Es stehen nur noch leere Gebäudehüllen da und die Menschen leben in Zelten und Containern. Drei Millionen Menschen haben ihr Zuhause verloren und sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

WDR: Fehlt es immer noch an allem?

Sarah Easter

Sarah Easter

Easter: Auf jeden Fall. Mich hat eine Frau gefragt, wo sie denn Wasser bekommen soll, wenn alles zerstört ist. Die Grundbedürfnisse sind oft nicht gedeckt. Wir von CARE haben in den letzten sechs Monaten Wasser verteilt, was jetzt besonders wichtig ist, weil es sehr heiß ist: Temperaturen zwischen 40 und 45 Grad. Ich habe mit Familien gesprochen, die gesagt haben, sie halten es in den Zelten tagsüber nicht aus, weil es viel zu heiß ist.

WDR: Was ist mit der medizinischen Versorgung?

Easter: Auch die ist natürlich sehr stark betroffen, auch bei den Apotheken. Was wir auch besonders sehen, ist die psychologische Versorgung, für die sich CARE einsetzt. Die Menschen haben ein Trauma erlebt und müssen adäquat versorgt werden.

WDR: Es gibt wohl kaum eine Familie, die keine Menschenleben zu beklagen hat.

Easter: Absolut. Ich habe eine Mutter getroffen, die vier Tage lang unter den Trümmern ihres Hauses verschüttet war. Sie hat ihre beiden Kinder im Alter von acht und 14 Jahren verloren, auch ihre Mutter. Sie hat mir erzählt, dass sie in den Trümmern ihre Tochter noch in den Armen hatte. In den ersten zwei Stunden habe sie noch mit ihr sprechen können. Eins werde ich nie vergessen: Dass sie spüren konnte, als ihre Tochter gestorben ist.

WDR: Mit der Zerstörung von Betrieben wurde den Menschen auch Einkommensmöglichkeiten genommen. Wie wirkt sich das aus?

Easter: Viele haben kein Geld, um sich selbst zu versorgen und sind noch dringender auf humanitäre Hilfe angewiesen.

WDR: Können die Kinder wieder zur Schule gehen?

Easter: Ich habe mit einer Familie gesprochen, die mir erzählt hat, dass deren Kinder seit sechs Monaten nicht mehr zur Schule gehen können. Also auch die Schulen sind da stark betroffen. Und diese Familie hat mir auch erzählt, dass sie gerne möchte, dass es mehr Aktivitäten für Kinder gibt. Dass Schulen aufgebaut werden. Aber das wird noch eine Weile dauern, bis man solche Strukturen aufgebaut hat. Dafür braucht es auch weiter Unterstützung, damit Organisationen solche Angebote überhaupt leisten können.

Das Interview führte Thomas Schaaf.

Das Gespräch wurde für die Online-Version sprachlich bearbeitet und gekürzt.

Ein halbes Jahr nach Erdbeben in der Türkei und Syrien

Aktuelle Stunde 04.08.2023 17:30 Min. UT Verfügbar bis 04.08.2025 WDR Von Lucie Jäckels

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