60 Jahre Élysée-Vertrag: Was bringt die deutsch-französische Freundschaft?

Stand: 22.01.2023, 20:15 Uhr

Eine "zuweilen laute, gut geölte Kompromissmaschine" hat Bundeskanzler Scholz den "deutsch-französischen Motor" am Sonntag bei einem Festakt zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags genannt. Welche Bedeutung hat die viel beschworene deutsch-französische Freundschaft heute noch?

Deutschland und Frankreich seien für ihn wie "zwei Seelen in einer Brust", sagte der französische Präsident Emmanuel Macron bei dem Festakt mit 30 Ministern beider Regierungen und etwa 200 Abgeordneten. "Für einen Franzosen über Deutschland zu sprechen heißt, über einen Teil von sich selber zu sprechen", so Macron in der Pariser Sorbonne-Universität.

Auch in NRW wird gefeiert, Europaminister Nathanel Liminski (CDU) hat gemeinsam mit dem französischen Generalkonsul Etienne Sur zu einer Festveranstaltung am Montagnachmittag in Düsseldorf eingeladen. Frankreich und Nordrhein-Westfalen seien schließlich enge Partner, rund 20.000 Franzosen lebten in NRW.

Vertrag als Grundlage der Zusammenarbeit

Bundeskanzler Konrad Adenauer (l.) sitzt mit seinem Gast, dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, im Rathaus der Stadt Köln (September 1962)

Bundeskanzler Adenauer und Präsident de Gaulle unterzeichneten den Vertrag 1962.

Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag zur Aussöhnung der beiden einstigen Erbfeinde und Kriegsgegner in Paris unterzeichnet. "Diese Freundschaft ist ein Beispiel dafür, dass man Feindschaft überwinden kann", so Andreas Jung (CDU), im WDR. Der Vertrag gilt bis heute als Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Er hat den Rang eines bindenden Gesetzes, da er sowohl vom Bundestag als auch von der Assemblée nationale verabschiedet wurde. Zu einem der wichtigsten Punkte gehören die deutsch-französischen Regierungs-Konsultationen - also der regelmäßige Austausch zwischen den politisch Verantwortlichen der beiden Länder über wichtige Fragen.

Beim deutsch-französischen Ministerrat in Paris standen am Sonntag die Themen Energie, Klimaschutz, der Umgang mit dem US-Inflationsbekämpfungsgesetz sowie die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich auf der Tagesordnung. Am Ende sollte eine gemeinsame Erklärung verabschiedet werden, die eine gemeinsame Vision von der Zukunft Europas aufzeigen soll.

Deutsch-französischer Motor stottert etwas

60. Jubiläum des Élysée-Vertrags

Zum Festakt am Sonntag gab es statt Streit eine Umarmung zwischen Scholz und Macron.

Seit dem Amtsantritt von Kanzler Scholz vor gut einem Jahr hatte es immer wieder Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis gegeben, etwa beim deutschen Widerstand gegen einen europäischen Gaspreisdeckel und beim 200-Milliarden-Programm der Bundesregierung zur Abfederung der hohen Energiekosten. Macron warf Deutschland damals vor, sich in Europa zu isolieren. Die eigentlich für Oktober geplanten Beratungen beider Regierungen mussten vertagt werden, weil man noch nicht in allen Punkten Einigkeit herstellen konnte.

Zuletzt lief die Abstimmung bei den Waffenlieferungen in die Ukraine nicht richtig rund. Anfang Januar preschte Macron bei der Entscheidung über Späh- und Schützenpanzer vor und verkündete sie einen Tag vor Scholz und US-Präsident Joe Biden.

Grundlage für gemeinsame europäische Wirtschaft

Der Élysée-Vertrag gilt nach dem Vertrag über die Montanunion, bei dem es um die gemeinsame Aufsicht für Kohle und Stahl ging, als Grundlage für die europäische Einigung und die gemeinsame europäische Wirtschaft.

Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterzeichneten im Januar 2019 einen neuen deutsch-französischen Vertrag. Der Aachener Vertrag sollte die bisherige Zusammenarbeit weiter verstärken. Daraus ist unter anderem der Deutsch-Französische Bürgerfonds entstanden, der Projekte für die deutsch-französische Freundschaft sowie Europa finanziert und vernetzt.

Geschäfte zwischen Frankreich und Wuppertal

Die Gemeinsamkeit sei auch weiter in vielen geschäftlichen Begegnungen spürbar, zum Beispiel in der deutsch-französischen Grenzregion, berichtet WDR-Korrespondentin Julia Borutta. Aktuell gibt es etwa 6.000 deutsche und französische Unternehmen, die im jeweils anderen Land aktiv seien. Mitarbeiter von Vorwerk, die in der französischen Provinz zum Beispiel den "Thermomix" produzieren, fahren nach Wuppertal, um die dortigen Ingenieure zu instruieren.

Auch der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire habe in einem Interview die Bedeutung dieses Austausches betont, berichtet Borutta. So suche man aktuell eine gemeinsame Antwort auf den amerikanischen "Inflation-Reduction-Act", bei dem US-Präsident Biden die heimische Wirtschaft mit enormen Subventionen stärken will.

Vertrag sollte vor allem Kulturaustausch fördern

Ursprünglich sollte statt des Élysée-Vertrags ein Protokoll unterschrieben werden, das den Kulturaustausch befördern sollte. Da Kultur in Deutschland aber Ländersache ist, plädierte Berlin damals in letzter Minute für einen Staatsvertrag, den der Bundestag ratifizieren sollte.

Wenige Monate später, im Juli 1963, wurde das deutsch-französische Jugendwerk gegründet, das später als "schönstes Kind des Élysée-Vertrags" bezeichnet wurde. Bis heute hat es etwa zehn Millionen junge Deutschen und Franzosen durch Austausch dem jeweiligen Nachbarland näher gebracht.

Mehrfach benutzte Kanzler Scholz in seiner Rede am Sonntag französische Ausdrücke, bezeichnete Frankreich etwa als "nation indispensable" (unentbehrliche Nation). Französisch als Fremdsprache spielt in Deutschland jedoch eine immer kleinere Rolle.

Offenbar weniger Verständnis zwischen den Nachbarn

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1995 lag der Anteil der Deutsch-Lernenden in Frankreich immerhin noch bei etwa 23 Prozent. Trotz des Rückgangs in den vergangenen zehn Jahren auch in Deutschland bleibt hier den Angaben zufolge Französisch nach Englisch immer noch die zweithäufigste Fremdsprache an allgemeinbildenden Schulen. In Frankreich hingegen liegt Deutsch nach Spanisch auf dem dritten Platz.

Das "Schlüsselmoment" in der deutsch-französisch Beziehung sei zwar immer noch konkret in Wirtschaftsfragen und als Mythos in der Politik spürbar in Frankreich, sagt WDR-Korrespondentin Julia Borutta.

"Wenn es jedoch irgendwann keine persönlichen Begegnungen mehr gibt, weil man nicht mehr interessiert ist an dem Land und Sprache, dann wird es schwierig, Beziehungen aufzubauen, die Krisen aushalten." WDR-Korrespondentin Julia Borutta

Die jungen Menschen in Frankreichs Schulen wüssten beispielsweise nichts mit dem Elysee-Vertrag anzufangen. "Der Krieg ist immer noch sehr wirkmächtig, so wurde in einer Schule, die ich besucht habe, eine junge deutsche Austauschschülerin als erstes mit den Nazis konfrontiert." Die deutsche Sprache habe in Frankreich auch weiter ein schlechtes Image und werde oft karikiert.

Deutsche Gegenwartsliteratur spiele in Frankreich kaum noch eine Rolle, während hierzulande wenigstens "Popstars" wie der Schriftsteller Michel Houellebecq oder der Soziologe Didier Eribon in Übersetzungen gelesen würden, wie Wolfgang Stenke am Montag im WDR formuliert. Dann gibt es auch noch Highlights wie "Karambolage" auf Arte-TV, in der die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen in äußerst witziger Weise dargestellt werden. Dies sei jedoch auf beiden Seiten des Rheins eher ein Elitenprojekt.

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