"Stadt der Klingen" von Najem Wali
Stand: 08.04.2024, 12:00 Uhr
Najem Walis Roman "Stadt der Klingen" liest sich streckenweise wie ein Kriminalroman. Die Themen: deutsche Vergangenheit, Flüchtlingsschicksale und familiäre Verstrickungen. Ein verwickelter Roman, der viel Konzentration verlangt. Eine Rezension von Stefan Berkholz.
Najem Wali: Stadt der Klingen
Secession Verlag, 2024.
280 Seiten, 25 Euro.
Solingen in Nordrhein-Westfalen ist der Schauplatz dieses Romans von Najem Wali. Jene Stadt, die 1993 in den Schlagzeilen war. Ende Mai kommen bei einem Brandanschlag auf Flüchtlinge und Migranten fünf Frauen ums Leben, vierzehn weitere Opfer erleiden teils lebensgefährliche Verbrennungen. Solingen scheint ein gefährliches Pflaster geblieben zu sein, entnimmt man diesem Roman.
"'Die ganze Stadt hat mitgekriegt, was dir passiert ist', sagte sie. 'Man wundert sich, wieso du nicht zur Polizei gehst.' Dafür hatte ich selbst keine Erklärung. Vielleicht hatte es mit meinem früheren Leben zu tun. Eine alte Gewohnheit, eine generelle Abneigung gegenüber der Polizei."
Frauenhandel, Prostitution, Schlägerbanden haben sich in der Stadt eingerichtet. Der Ich-Erzähler Nuri Mohsen, ein seit über zwanzig Jahren in Deutschland lebender Flüchtling aus dem Irak, ist zusammengeschlagen worden, und er weiß nicht wie ihm geschieht. Seine Angst hat er ohnehin nie verloren.
"Wenn jemand aus einem Polizeistaat geflüchtet ist, kann er seine Angst vor der Polizei und seine Abneigung gegen sie nicht so einfach abbauen. Außerdem, was sollte ich der Polizei sagen? Gegen wen sollte ich Anzeige erstatten? In letzter Zeit hatte es viele Angriffe auf Asylheime, Flüchtlingslager und Überfälle oder Pöbeleien gegen Fremde gegeben."
Nuri Mohsen ist Anfang vierzig, ein Träumer, "der Filme und Bücher spannender findet als das wirkliche Leben", heißt es. Arglos stolpert er durchs Leben, wunderlichen und zunehmend gefährlichen Abenteuern ausgesetzt. Es geht um ein Geheimnis, das sich durch die Familien (und den gesamten Roman) zieht: Ein Dolch der Liebe ist verschwunden und soll gesucht werden, "ein Stück Solinger Meisterhandwerk aus dem 18. Jahrhundert", wie es heißt.
"Mehr als ein halbes Jahrhundert war inzwischen vergangen, doch die Erinnerung an Ismail, der den Dolch mit sich genommen hatte, um sie zu beschützen, der alles getan hatte, damit niemand sie beschuldigte, war nie verblasst. Was war aus ihm geworden? Sie wusste weder, ob er noch lebte, noch wohin er nach jenem furchtbaren Tag geflohen war."
So führt uns ein allwissender Erzähler in die Gedanken von Elizabeth Schleiff ein, geborene Horn, inzwischen 80jährig, einzige Erbin der traditionsreichen Messermanufaktur Horn.
"Wie viele deutsche Unternehmerfamilien hatten auch die Horns und die Schleiffs den Aufstieg der Nazis miterlebt und von ihm profitiert. Armin wusste aber, dass Elizabeths Geheimnis nichts mit Politik zu tun hatte. Doch warum eine Liebesgeschichte so beharrlich vertuscht werden musste, war ihm ein Rätsel."
Armin ist ein Nachkomme der Solinger Messerschmiede-Familie Schleiff, er ist angewidert von der Skrupellosigkeit seines Großvaters, schon als Jugendlicher hat sich Armin von der Nazi-Zeit und dem Todschweigen der Familie abgewandt. Es geht um deutsche und irakische Familienverstrickungen in der Gegenwart, um Lügen und Geheimnisse, um Flüchtlingsschicksale und die Bedrohung durch Rechtsradikale. Und schließlich steht eine große Liebe auch von Nuri Mohsen auf dem Spiel.
"All jene Geschichten, die ich Ihnen hier wiedergebe, hätte ich ohne Amira nicht erlebt und also auch nicht auf meine Weise wiedergeben können. Anders gesagt, ohne die Wupper gäbe es Solingen nicht. Und ich möchte ergänzen: Ohne Amira und die mit ihr in Verbindung stehenden Geschichten, wäre aus mir nicht der geworden, der ich heute bin."
Doch bis sich alles auflöst und sämtliche Geheimnisse und Lügen geklärt sind, schlingert der Roman durch allerlei Verwicklungen. Najem Walis Roman pendelt zwischen Politthriller, Märchen, Pageturner und längeren Erzählpassagen für die Hintergründe der Geschichte hin und her. Die Spannung verliert sich immer mal wieder, weil Wali so viel zu erklären hat und dies nicht in anderer Form unterbringt. Am Ende bleibt der Eindruck, dass dieser Roman, trotz sprachlicher Stärke, Walis erster auf Deutsch geschriebener Roman, nicht zu den besten Texten des Autors zu zählen ist.