Buchcover: "Was der Tag bringt" von David Schalko

"Was der Tag bringt" von David Schalko

Stand: 23.05.2023, 12:00 Uhr

Arbeit, Geld, Freundschaft und Einsamkeit – David Schalkos neuer Roman "Was der Tag bringt" wirft die Frage auf, was eigentlich bleibt, wenn man alles verliert. Eine Rezension von Andrea Gerk.

David Schalko: Was der Tag bringt
Kiepenheuer & Witsch, 2023.
304 Seiten, 24 Euro.

"Was der Tag bringt" von David Schalko

Lesestoff – neue Bücher 23.05.2023 05:12 Min. Verfügbar bis 22.05.2024 WDR Online Von Andrea Gerk


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Es beginnt mit einer Szene beim Bankberater. Felix, Ende dreißig, freiberuflicher Unternehmer, ist pleite. Seine Firma 'Wastefood', ein nachhaltiges Catering-Projekt, ist der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen, der Kreditrahmen weitgehend ausgeschöpft. Felix hat das Gefühl, in einen Winterschlaf gefallen zu sein, aus dem er – und zunächst auch alle anderen – nicht mehr richtig aufgewacht ist:

"Als mit der Pandemie die Telefone aufhörten zu läuten, war es auch sonst ganz still geworden. Alle waren sie in ihren Wohnungen verschwunden. Niemand meldete sich. Niemand fragte, wie es ihm ging."

Aber während alle anderen scheinbar ins Leben zurückfanden, bleibt es bei Felix still. Er ist ständig müde, zugleich unruhig und verliert jedes Ziel aus den Augen. Da sein Bankberater ein Vertrauter, ja fast so etwas wie ein Freund ist, schlägt er Felix vor, fürs Erste seine Wohnung, die er geerbt hat, acht Tage pro Monat zu vermieten. Damit bliebe er unabhängig, könne überlegen, was er wirklich brauche:

"Der Bankberater sah ihn an. Zusammengepresste Lippen. Kopfnicken. Zuversicht. Denk dran. Sie können dir alles nehmen. Nur dich selbst nicht. Der Bankberater tat ihm fast leid. In seiner empathischen Verlegenheit spürte man seine Angst, selbst einmal auf der anderen Seite des Tisches zu landen. Natürlich konnten sie einem das Selbst nehmen. Ein zarter Schüttelfrost durchdran ihn. Felix wünschte, der Bankberater wäre eine Frau gewesen. Eine Frau, die ihn jetzt in die Arme genommen hätte."

Was passiert, wenn die eigene Existenz sich auflöst, wenn nicht mehr Arbeit den Tag strukturiert, es kein Ziel mehr gibt, auf das man hinlebt und auch die Beziehungen und Freundschaften schon längst nicht mehr halten, was sie vielleicht auch nie versprochen hatten, davon erzählt David Schalko in diesem Roman. "Was der Tag bringt" ist nicht zuletzt eine philosophische Studie in Romanform, in der es um den Wert von Arbeit und Geld, um die Bedeutung von Freundschaft und das Gewicht von Einsamkeit geht:

"Es waren nicht die Menschen, die er misste. Es war ihre Anwesenheit. Es war nicht die Arbeit. Es war die Struktur, die den Tag zu einem Tag machte. Die Sinn simulierte. Die einem das Gefühl gab, dass die Zeit nicht ungenutzt vorüberstrich. Jetzt fühlten sich die Tage wie im freien Fall an. Es war egal, wann man aufstand. Es war egal, wann man schlafen ging. Es war egal, was man mit ihnen anfing. Oft saß er den ganzen Tag in den leeren Büros und starrte vor sich hin. Wie schnell Räume nichts mehr mit einem zu tun hatten."

Wie eine scheinbar funktionierende Mittelschicht-Existenz durch den Verlust von Arbeit und Struktur, gleichsam unterwandert wird, durch Armut und Desorientierung unterhöhlt wird und langsam implodiert, davon erzählt David Schalko in einer lakonischen und zugleich beklemmenden Art.

Wobei es bei der Abwärtsspirale, in die Felix gerät und an deren Ende er auf der Straße schläft, um mehr geht als um den Verlust von Ansehen, Geld und Prestige. Vielmehr erlebt Felix eine tiefe Identitätskrise, die im Prinzip in jedem von uns schlummern könnte, schon allein, weil die neoliberalen, auf Effizienz, Erfolg und Leistung fixierten Werte, keinen echten Wert vermitteln können:

"Zwischen ihm und seinen Erinnerungen stand eine Glaswand. Alles schwirrte vorbei. Er hatte keinen Zugriff. Keinen Bezug mehr. Nichts bedeutete ihm etwas. Er wusste nicht, warum. Es war schleichend gekommen. Er dachte, es gehöre zum Erwachsenwerden. Aber es war etwas anderes. Etwas, das sich in ihm ausbreitete. Das ihn sukzessive verschwinden ließ."

Auch wenn "Was der Tag bringt", nicht ganz so schwarz-humorig erzählt ist, wie David Schalkos frühere Romane, ist ihm eine bestechende Analyse unserer Zeit gelungen. Ob es um den Verlust von Berührungen in einer digitalen Welt geht, um die Bedeutung des Wohnens, der Arbeit und natürlich des Kapitals – Felix‘ Geschichte wirft viele drängende Fragen unserer Zeit auf, ohne dabei zum fleischlosen Thesenroman zu verkommen.

Vielmehr entwirft dieses Buch – durch das sich im Übrigen auch eine Reihe z.T. bizarrer Fotografien ziehen – ausgesprochen starke, beklemmende Bilder und lässt einen mit der etwas unangenehmen, aber unausweichlichen Frage zurück, wie man eigentlich leben will.